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Spiegelung Hochjochferner und Grawand an der Schönen-Aussicht-Hütte |
Mehr als 30 Grad Hitze im Tal versprechen angenehme Temperaturen in der Höhe.
Kurzras im
Schnalstal wäre mit der
Schöne-Aussicht-Hütte eine Option, wenn wir die Tour nicht vor einigen Jahren von unserer Must-do-Liste gestrichen hätten.(1) Recherchen zu Wanderoptionen im Hochgebirge in Nähe unserer Unterkunft wecken Interesse an neuen Routen im
Schnalstal.(2) Nach der anstrengenden Tour vom Vortag(3) ermöglicht eine Seilbahnfahrt zur
Grawand (3.212/3.251 m) eine bequeme Panoramawanderung über die
Schöne-Aussicht-Hütte (2.845 m) zurück nach
Kurzras.(4)
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Totempfahl, Hochjochferner, Finailspitze |
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Denkmal für Leo Gurschler in Kurzras |
Nach ca. 1.400 m Abstieg und nur 200 m Anstieg treffen wir ausgesprochen begeistert
in
Kurzras
ein. Liftanlagen sind in der Zwischenzeit nicht abgeräumt worden,
aber ein erweitertes Wegenetz und veränderte Routenführung gestatten
meistens ausreichenden Abstand.
Kurzras präsentiert sich so, wie wir es schon immer kennen, ein Schandfleck von Bausünden. Beim
Hotel Gurschler werden wir auf ein interessantes Denkmal aufmerksam. Dargestellte Szenen erschließen sich nicht spontan. Hinweise suchen wir vergebens. Nachfolgende Recherchen verschaffen Aufklärung und zeigen, wie sich auch im entlegenen
Schnalstal Kommerz und Tragik wechselseitig durchdringen.
Diashow der Fotoserie -
Google-Geschichte
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Grawandgipfel, 3.251 m, Bergstation der Seilbahn, 3.212 m |
Wir entrichten 4 € Parkplatzgebühren und eilen zur
Gletscherbahn, die uns zum Preis von 18 € pP in 6 Minuten zur Bergstation auf der
Grawand transportiert (3.212 m).
Von der Bergstation der Seilbahn bieten sich 2 kurze Abstecher von jeweils ca. 20 Minuten Dauer (Hin- und Rückweg) an. Nach Süden führt ein ausgesetzter, aber gut präparierter und mit Seilen gesicherter Gratweg zum Gipfel der 3.251 m hohen
Grawand. In entgegengesetzter Richtung erschließt der 'Panoramaweg' (eine breite Schottertrasse auf einem Bergrücken) einen spektakulären Aussichtspunkt. Nach Norden blicken wir auf das
Hochjoch mit
Schöner-Aussicht-Hütte am
Hochjochferner und erkennen am
Ötztaler Hauptkamm Gipfel von Weißkugel, Innere Quellspitze, Wildspitze. In Richtung Südosten umrahmen Grawand, Schwarze Wand, Finailköpfe, Finailspitze, Similaun das Panorama.
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Gletschersee des Hochjochferners, Schöne-Aussicht-Hütte |
Der durchgehend markierte und gut gehbare Abstiegsweg in Richtung
Schöne-Aussicht-Hütte führt durch Schotter und Geröll des stark geschrumpften
Hochjochferners zu einem ca. 500 m tiefer liegendem Gletschersee, von dem der Weg zur Hütte ca. 100 m ansteigt. Nach einstündiger Wanderung erreichen wir die
Schöne-Aussicht-Hütte, an der wir rasten.
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Schöne-Aussicht-Hütte |
Die Route des Rückwegs von der Hütte nach
Kurzras verläuft im oberen Teil auf einem höher am Hang neu angelegten Pfad und hält Abstand zu Lift- und Skitrassen in der Talsohle. Nach 1:10 Std. liegen 800 m Abstieg von der Hütte bis
Kurzras hinter uns. (2:50 Std. Gesamtgehzeit inkl. beider Abstecher an der Bergstation der Seilbahn.)
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Kurzhof, Hotel Gurschler, Denkmal für Leo Gurschler |
In
Kurzras möchten wir uns eine Kapelle beim
Hotel Gurschler anschauen und entdecken zwischen Hotel und Kapelle ein uns bisher entgangenes Denkmal.
Figuren zeigen die Handschrift des Schnalstaler Künstlers
Martin Rainer.(5) Ein Artikel im Vinschger informiert über die Einweihung eines Denkmals am 1.09.2007, das die Pioniertätigkeit des letzten Kurzras-Bauern
Leo Gurschler
beim Seilbahnbau würdige. Das von
Martin Rainer und seinem Sohn
Josef Rainer geschaffene Werk
aus Granit und Bronze zeige Szenen des Seilbahnbaus. Das Bauprojekt
beobachtet oder überwacht eine
Leo Gurschler symbolisierende sitzende Figur mit einer Seilbahnkabine
in den Händen.(6)
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Denkmal für Leo Gurschler |
Dank der Informationen fällt es nicht mehr schwer, das Geschehen um die Person
Leo Gurschler und den Seilbahnbau in
Kurzras zu rekonstruieren. Großbauer
Leo Gurschler, Besitzer des um 1300 erstmals urkundlich erwähnten Kurzhofs in
Kurzras, hatte eine Vision vom allmählich aussterbenden
Schnalstal als aufblühendes Skigebiet. Kleinere Lifte zogen bereits erfolgreich Ski-Touristen an, aber
Leo Gurschler dachte in größeren Dimensionen. Er wollte den
Hochjochferner mit einer Seilbahn auf die
Grawand für ganzjährigen Skibetrieb erschließen. Es gelang ihm, Kapital für den abenteuerlichen Bau einer
Seilbahn aufzubringen, die mit nur einem Stützpfeiler im brüchigen Fels 1200 Höhenmeter bis zur 3.212 m hohen Bergstation unter dem Gipfel der
Grawand überwindet. In einer legendären, 11 Tage dauernden halsbrecherischen Aktion fuhr
Leo Gurschler persönlich einen Bagger auf die
Grawand, weil niemand die Fahrt übernehmen wollte. Nach schwierigem Bauprojekt eröffnete die
Schnalstaler Gletscherbahn am 12. Juli 1975 den Betrieb.
Leo Gurschler stieg zum ungekrönten König des
Schnalstals auf.
Erfolg beflügelt bekanntlich und drängt nach mehr Erfolg.
Leo Gurschler dachte in größeren Dimensionen und schob weitere Bauprojekte an. Visionen, Erfolge und unternehmerische Leidenschaft ersetzten bertriebswirtschaftliches Know-how.
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Denkmal für Leo Gurschler |
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Denkmal für Leo Gurschler |
Mit der Kapitalausstattung von Finanziers baute er die Umgebung des Kurzhofs zum Skidorf Kurzras aus, das 1977 eröffnete. Übernachtungszahlen schnellen von 11.000 im Jahr 1974 auf 255.000 im Jahr 1981 hoch. Ideen für den weiteren Ausbau des Skitourismus gehen
Leo Gurschler nicht aus, aber Augenmaß für realistische Planungen scheint zu fehlen.
Leo Gurschler legt sich einen Hubschrauber zu, mit dem er sein Imperium unter Kontrolle hält und prominente Gäst ein- und ausfliegt. Italienische Hochzinspolitik und mangelnde Auslastung von Hotelbetten bewirken nicht ausreichende Kostendeckung. Kredite können nicht mehr im vereinbarten Umfang bedient werden. Der Grundstückswert der Gurschler-Familie reicht zur Besicherung von Krediten nicht mehr aus.
Leo Gurschler sitzt auf einem Schuldenberg von umgerechnet 20 Millionen DM und muss im Mai 1982 Konkurs anmelden.
Pleitegeier über dem Schnalstal textet die Wochenzeitung 'Die Zeit' in einer Ausgabe vom Juli 1982.
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Kapelle zur Heiligen Familie |
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Denkmal für Leo Gurschler |
Der Absturz aus großer Fallhöhe überfordert
Leo Gurschler. Im Alter von 36 Jahren begeht er Suizid und hinterlässt neben dem Schuldenberg eine Familie mit 4 Kindern.
Blind und gierig vom schnellen Erfolg haben sich Schnalser und einige weitere Skiregionen verzockt. Wie es weitergeht, ist offen, kommentiert die Wochenzeitung 'Die Zeit' im Februar 1984:
Warten auf den Aufschwung
Die Familie versucht das öffentliche Bild geradezurücken und beschreibt auf der Webseite des
Piccolo Hotel Gurschler ihre Sicht des Geschehens:
Informationen über Leo Gurschler und das Sportdorf Kurzras (auf der Hotel-Webseite verlinktes PDF-Dokument).
Anmerkungen
- (1) Über viele Jahre liebten wir den Aufstieg von Kurzras im Schnalstal von etwas mehr als 2.000 m Höhe zur Schöne-Aussicht-Hütte in 2.845 m hoher Panoramalage am Hochjoch (ein Übergang vom südtiroler Schnalstals in das tiroler Venter Tal). Vor dem Erreichen hochalpiner Region vergletscherter 3000-Tausender in der Umgebung der Schöne-Aussicht-Hütte war schon vor 30 Jahren zunächst in Kurzras
eine dem Ski-Tourismus geopferte Landschaft zu überwinden. In
Folgejahren mussten wir zur Kenntnis nehmen, wie immer mehr Liftanlagen
in die Landschaft geklotzt wurden. Das war nicht schön, auch nicht
unvermeidbar, aber soweit machbar. Als sich dann auch noch die Schöne-Aussicht-Hütte
dem Ski-Tourismus zuwendete und als 'Location' hipper Spaß-Kultur
anbiederte, reichte es uns.
Wanderrouten auf Ski-Trassen entlang Liftmasten sind für uns
No-go-Areas. (Post vom 20.07.2012)
- (2) Mit dem Trend zu steigenden Temperaturen schrumpfen die meisten Alpengletscher massiv. Sommerski ist im Schnalstal
auch mit vielen Schneekanonen nicht mehr möglich.
Auf der Suche nach Kompensation rückt mittlerweile boomender
Wandertourismus in den Fokus. Um die Infrastruktur von Gastronomie,
Hotels, Seilbahnen, Shops etc. im
Sommer mit Wander-Tourismus auszulasten, muss die Region für Wanderer
attraktiver werden. Der 'Ötzi-Hype' treibt zusätzlich Publikum in die
Region des Schnalstal. Eine 1991 gefundene und als Ötzi bezeichnete Gletschermumie erzählt uns die Geschichte eines Mannes, der vor ca. 5000 Jahre vermutlich aus dem Schnalstal auf der Flucht zum
Ötztaler Hauptkamm aufgestiegen ist, wo er schließlich am Tisenjoch
umgebracht wurde.
- (3) Post vom 5./10.08.2015
- (4) Routenbeschreibung: Berglouter: Grawandspitze - Schutzhütte Schöne Aussicht
- (5) Martin Rainers beeindruckende Arbeiten kennen wir vom Dorfbrunnen im Karthaus sowie von einer Wechselausstellung in der Kartause: Post vom 9.08.2015, Post vom 25.08.2013
- (6) Der Vinschger 2007: Denkmal in Erinnerung an Leo Gurschler
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