Donnerstag, 19. Juli 2012

Südtirol 2012 - Wanderung auf dem Archaikweg zwischen Prad und Stilfs im Stilfser Joch Nationalpark

Motiv am Archaikweg bei Stilfs
Heute wollen wir es ruhiger angehen lassen, nachdem wir in den vergangenen drei Tagen in den Bergen unterwegs waren. Außerdem ist instabileres Wetter angekündigt, weshalb wir vorziehen, in der Nähe unserer Unterkunft zu bleiben. Am Eingang des Stilfser Joch Nationalparks im unteren Suldental lernen wir heute eine neue Wanderroute kennen.
Der 'Archaikweg' zwischen Prad und Stilfs ist ein Abschnitt des historischen Urweges der Alpenüberquerung über das Stilfser Joch. Der als 'Wormisionssteig' bezeichnete frühgeschichtliche Handelsweg zwischen dem lombardischen Ort Bormio und dem Vinschgau lässt sich bis in die Bronzezeit zurückerfolgen und hatte noch zur Römerzeit strategische Bedeutung zur Absicherung der 'Via Claudia Augusta' im Vinschgau. Namensgebend für den Weg ist der Ort Bormio, dessen historischer deutscher Name 'Worms' ist. Diesem Weg wollen wir bis zur Ortschaft Stilfs folgen, um von dort auf dem näher am Talgrund verlaufenden 'Algumser Bergwaal' zurück nach Prad zu gehen. Bevor wir die Wanderung starten, bringt uns ein Abstecher zur Burgruine Lichtenberg, deren imposante Front wir seit mehr als zwei Wochen nur aus der Ferne wahrgenommen haben.
Link: Fotoserie unserer Wanderung vom 19.07.2012

Burgruine Lichtenberg

Burgruine Lichtenberg über der Ortschaft Lichtenberg
Die Burg Lichtenberg wurde als Trutzfeste gegen die Bischöfe von Chur errichtet, die vis-à-vis auf der Churburg residieren. Die Ursprünge der Burg Lichtenberg verlieren sich im Dunkel der Geschichte. Ab 1259 ist der Besitz der Burg durch die Grafen von Tirol belegt. Die Tiroler Grafen konkurrierten mit den Churer Bischöfen um die Macht im Vinschgau. Das nachbarschaftliche Verhältnis dürfte nie langweilig gewesen sein.
Bis zum Beginn des 16. Jh. werden verschiedene Geschlechter mit der Burg Lichtenberg belehnt. 1496 wird Pankraz Khuen Rat des Kaisers Maximilian I. und bewährt sich als Hauptmann des Nons- und Sulztales. Inzwischen zum Deutschen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt, belehnt Maximilian I. Pankraz Khuen 1513 mit Lichtenberg. Für mehr als drei Jahrhunderte wird die Burg zum Hauptsitz der Familie Khuen-Belasi. Ein Spross der Familie, Johann Jakob, regiert von 1560 - 1586 als Erzbischof zu Salzburg und veranlasst einen großzügigen Ausbau der Burg Lichtenberg. Kaiser Ferdinand II. erhebt 1630 das gesamte Geschlecht in den Grafenstand.

Im Besitz dieser Familie, die in mehreren Linien fortbesteht, befindet sich die Burg noch immer, sie ist aber seit dem 19. Jh. nicht mehr bewohnt und dem Verfall preisgegeben. Möglicherweise hat der Habsburger Kaiser Jospeph II. diese Entwicklung ausgelöst. Von Joseph II. gingen zahlreiche Reformen aus, die u. a. der Haushaltskonsolidierung dienten. Joseph II. war ein durchaus gebildeter und aufgeklärter Monarch, der viele kreative, aber auch kuriose Entscheidungen traf, die oft nicht zu Ende gedacht waren und an der Umsetzung scheiterten. Ende des 18. Jahrhunderts führte Joseph II. eine Form der Vermögenssteuer als 'Dachsteuer' ein, deren Höhe auf Basis der Dachfläche berechnet wurde. Daraufhin wurden in Österreich viele Burgen und andere Gebäude aufgegeben und abgedeckt, um Geld zu sparen.

Burgruine Lichtenberg
Im Aufstand gegen die napoleonische Besetzung nutzten die Vinschger das unbewohnte Schloss 1809 als Gefängnis für gefangenen Franzosen. Diese brachen ein Loch in die rückwärtige Burgmauer, setzten die Burg in Brand und entkamen. Was noch brauchbar erschien, plünderten schließlich die Bewohner der Umgebung. Wertvolle Fresken der Burg wurden zwischen 1908 und 1912 abgenommen ("gerettet") und nach Innsbruck in das Tiroler Landesmuseum verfrachtet. 
Mit der Rückbesinnung auf das kulturelle Erbe setzten ab 1980 erste Versuche zur Rettung der Burgruine ein. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten konnte sich 1993 ein Kuratorium Schloss Lichtenberg mit dem Ziel konstituieren, die Burgruine Lichtenberg zu erhalten, zu sanieren und vor dem Verfall zu retten. Nach Abschluss der Arbeiten soll das Schloss für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden, die der Allgemeinheit zugänglich sind. Wann das der Fall sein wird oder soll, konnten wir nicht ermitteln. Tatsächlich waren bei unserem Besuch Hangsicherungsarbeiten zu erkennen, die eine Wiederherstellung des ehemaligen Schlossweges ermöglichen sollen. Insgesamt scheinen die Sanierungsarbeiten jedoch nur auf 'Sparflamme' zu laufen. Link: Webseite des Kuratoriums Schloss Lichtenberg

Wanderung auf dem Archaikweg von Prad nach Stilfs

Motiv am Archaikweg
Hinweis auf den Nationalpark Stilfser Joch
Am Startpunkt des Archaikweg macht uns das Symbol des Steinadlers auf einer Tafel darauf aufmerksam, dass wir den Nationalpark Stilfser Joch betreten, der zu den größten Naturschutzgebieten Europas zählt und sich über vier italienische Provinzen erstreckt. Das gesamte Ortler-Cevedale-Gebiet liegt innerhalb des Nationalparks, der nach Nordwesten an den Schweizer Nationalpark Engadin grenzt und im Süden an den Regionalpark Adamello in der Lombardei. Der Internetauftritt des Nationalparks ist leider nur italienisch zu haben:
Link: Webseite des Nationalparks Stilfser Joch







Blick auf Suldenbach, Stilfs und Ortler
Der Archaikweg ist ein profilierter Saumpfad, der an einem überwiegend schattigen Hang verläuft und der historischen Wegführung folgt, die seit mehreren tausend Jahren begangen wird. An markanten Punkten machen Informationstafeln auf geologische, biologische und historische Besonderheiten oder Kontexte aufmerksam, die wir in Anbetracht unseres Unwissens nicht gesehen bzw. erkannt hätten. Ja, hier können wir etwas lernen, und wir nehmen die Informationen gerne auf.
Obwohl er es verdient hätte, scheint der Archaikweg nicht besonders populär zu sein, denn wir treffen nur wenige Wanderer. Uns ist das durchaus recht. Wir schätzen die 'meditative Einkehr' die sich bei nicht allzu großen Anforderungen auf längeren Wanderungen nur einstellen kann, wenn nicht laufend Störungen auftreten.





Picknickplatz am Kaschlin
Auf dem Weg bieten sich immer wieder schöne Ausblicke in die Tiefe des Suldener Tals, auf die Ortschaft Stilfs und auf den Gipfel des Ortlers. Unser persönlicher Favorit ist jedoch der 'Kaschlin', ein prähistorischer Siedlungsplatz, an dem, ähnlich wie am 'Ganglegg', während der Bronzezeit Erz geschürft und verhüttet wurde, um Metallverarbeitung zu betreiben. Im Unterschied zum Ganglegg haben jedoch am 'Kaschlin' noch keine systematischen archäologischen Untersuchungen stattgefunden, so dass Wissen über diesen Ort auf einigen mehr oder weniger zufälligen Funden beruht.
Zwei Picknickplätze laden zu einer Pause ein. Wir sind bereits seit 1:45 Stunden unterwegs und nehmen diese Einladung gerne an, ehe wir in 20 Gehminuten nach Stilfs absteigen.




Dorfstraße in Stilfs
Das Dorf Stilfs liegt geschützt vor Hochwassern des Suldenbaches an einem steilen Hang. Die Straße zum Stilfser Joch verläuft inzwischen in der Talsohle unterhalb der Ortschaft. Stilfs zählte vor noch nicht allzu langer Zeit neben Lichtenberg zu den ärmsten Ortschaften des Vinschgaus. Danach sieht es heute nicht mehr aus, aber der Ort vermittelt den Eindruck, einige Jahre hinter der Zeit zu liegen. Ein Mangel oder Nachteil ist daraus nicht abzuleiten; im Gegenteil würde es uns nicht wundern, wenn je nach Wertschätzung individueller Freiheiten und sozialer Zufriedenheit eine vermeintliche Rückständigkeit gerne akzeptiert würde. PS-starke Limousinen hätten jedenfalls in diesem wenig autogerechten Dorf keinen Platz und würden hier nicht nur ihren Glanz als Statussymbole verlieren, sondern auch die schlichte Natur ihrer Besitzer entlarven.

Technische Daten:
  • Gesamtgehzeit bis zum Anschlussweg unterhalb von Stilfs: 2:30 Stunden
  • Absoluter Höhenunterschied: 541 m
  • Anstieg- und Abstiegsleistung: ca. 600 m - 700 m (Schätzung), überwiegend aufsteigend
  • Technische Anforderungen: leicht
  • Konditionelle Anforderungen: mittel
  • Wegmarkierungen: gut 
  • Anmerkung: Der Weg verläuft durch steinschlaggefährdete Zonen und ist darum wetterabhängig. 
Erlebniswert: 2+

Rückweg von Stilfs nach Prad über den Algumser Waalweg

Wegkreuzung bei Stilfs
Von Stilfs hätten wir die Chance, mit dem Bus zurück nach Prad zu fahren, was jedoch für uns keine relevante Option ist. Als Rückweg wählen wir den Algumser Waalweg.
Während der ersten 30 Minuten verläuft der profilierte Weg nicht wahllos, aber waallos. Dann erreichen wir einen typischen Waalweg, ohne einen Waal zu sichten. Dieser verläuft nämlich in vergrabenen Pipelines, die in einigen Stellen sichtbar werden.









Motiv am Algumser Waalweg
Der Weg ist gut markiert und bestens präpariert. Einige gesicherte Abschnitte erscheinen uns als übertriebene Fürsorge, was wir aber nicht kritisieren wollen. Auch dieser Weg hat kurze Abschnitte, die von Steinschlag gefährdet sind. Die Risiken schätzen wir bei gutem Wetter als gering ein.
Der Algumser Waalweg bietet keine besonderen Höhepunkte und ist im Vergleich zum Archaikweg eher langweilig. Als Rückweg bietet er jedoch eine akzeptable Option.
Oberhalb des Weilers Gargitz trifft der Algumser Waalweg auf den Archaikweg. Wenige Minuten später erreichen wir unseren Startpunkt in Prad nach 1,5 Stunden Gehzeit auf dem Rückweg. 





Technische Daten:
  • Gesamtgehzeit von Stilfs bis Prad: 1:30 Stunden
  • Absoluter Höhenunterschied: ca. 240 m
  • Anstieg- und Abstiegsleistung: ca. 300 m - 400 m (Schätzung), überwiegend absteigend
  • Technische Anforderungen: leicht
  • Konditionelle Anforderungen: keine
  • Wegmarkierungen: exzellent
  • Anmerkung: Der Weg verläuft durch steinschlaggefährdete Zonen und ist darum wetterabhängig. 
Erlebniswert: 3

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