Dienstag, 10. Juli 2012

Süditirol 2012 - Archäologische Wanderung im Obervinschgau (aktualisiert am 20.07.2012)

Wechselhaftes Wetter können wir im Hochgebirge nicht brauchen. Wir bleiben "in der Nieder", wie Dora, die gute Seele des Kortscher Hofes zu sagen pflegte, und begeben uns in unmittelbarer Umgebung unser Unterkunft auf spannende kulturhistorische Exkursionen.Wir sind weder Archäologen noch Historiker, sondern lediglich kulturinteressierte Laien. Unsere Herangehensweise an kulturgeschichtliche Artefakte ist unmethodisch bzw. von amateurhafter bzw. hemdsärmeliger Neugier getrieben. Wir erwarten keine objektiv relevanten Ergebnisse und sind mit subjektiv erleuchtenden Erkenntnissen zufrieden, die uns immer wieder neu überraschen und begeistern und zu weiteren Recherchen anregen.
Heute besuchen wir zunächst das 'Ganglegg', eine eiszeitliche Gletschermoräne oberhalb von Schluderns. Anschließend kehren wir noch einmal zum 'Tartscher Bühel' zurück, ein Felsbuckel aus Glimmerschiefer zwischen den Ortschaften Schluderns und Mals, in dem Volkssagen verborgene historische Geheimnisse vermuten. Eine kleine Grabungskampagne im Kontext der Untersuchungen auf dem 'Ganglegg' führte zu bemerkenswerten Erkenntnissen.
Link zur Fotoserie unserer archäologischen Wanderung vom 10.07.2012




Rundgang auf dem 'Ganglegg'
Der Name 'Ganglegg' steht in keinem sprachlichen Zusammenhang zum archäologischen Park dieses Gebietes. 'Ganglegg' leitet sich vom Ausdruck 'Gangl' ab, der eine gemauerte Einfriedung bezeichnet, in der Weidetiere temporär zusammengetrieben werden. Zwei südtiroler Hobbyarchäologen haben dieses Gebiet in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts untersucht und konnten aufgrund der Bedeutung ihrer Funde wissenschaftliche Grabungen anstoßen, die im Zeitraum von 1997-2001 durchgeführt wurden. Diesen Aktivitäten verdanken wir einen archäologischen Park auf dem 'Ganglegg' sowie ein Museum in Schluderns, das die Fundstücke der Grabungen ausstellt. Das Ganglegg gilt als die am besten erforschte, frühzeitliche Höhensiedlung des gesamten Alpenraums. Archäologische Untersuchungen zeigen, dass am 'Ganglegg' vor allem Metallverarbeitung stattfand, während Landwirtschaft nur für den Eigenbedarf betrieben wurde. Kupfererze sind im näheren Umfeld zu finden. Zinn musste importiert werden (vermutlich aus England), um Bronze herzustellen. Artefekte ortsfremder Kulturen belegen, dass offensichtlich ein Austausch mit keltischen Kulturen stattfand und der Fernhandel nach Süddeutschland, Oberitalien und dem Balkan reichte.
Dank archäologischer Methoden sind mehrere Siedlungsperioden nachzuweisen. Vom 10. - 5. Jh. v. Chr. sowie vom Jahr 15 v. Chr. - bis Mitte des 3. Jh. n. Chr. werden unbewohnte Zeiträume angenommen.

Gemäß archäologischer Systematik gliedert sich die Siedlungsgeschichte in vier Perioden:
  • Kupferzeit (3300 – 2200 v. Chr.)
  • Mittlere und Spätere Bronzezeit, (14. – 13. Jahrhundert v. Chr.) sowie in der Zeit der Laugen-Melaun-Kultur (12. – 11. Jh.), die sich mit ihrer Keramik sowie mit Brandopferplätzen und der Brandbestattung in Urnen von Vorgängerkulturen abhebt. Mit der Laugen-Melaun-Kultur gewinnt im Etschtal neben der Metallverarbeitung der Weinanbau und der Weinhandel an Bedeutung. Handelsbeziehungen reichen bis nach England und auf den Balkan. Bemerkenswert sind zudem spezielle Heiligtümer, die oft auf abgelegenen Berggipfeln in Form aufgetürmter Steinkegel angelegt sind, auf denen Opfergaben verbrannt wurden.
  • Die Besiedlung während der Eisenzeit (ab 4. Jahrhundert bis 16 – 15 v. Chr.) wird der Fritzens-Sanzeno-Kultur zugeordnet, deren Träger die 'Räter' sind. ('Räter' ist eine römische Sammelbezeichnung für Ethnien des Alpenraums.) Ein intensiver Austausch findet insbesondere zu keltischen Stämmen sowie zu Etruskern statt. 
  • In der Spätantike (2. Hälfte des 3. Jahrhundert – 4. Jahrhundert n. Chr.) wurde die Siedlung erneut reaktiviert, weil sie vermutlich in Anbetracht zunehmender politischer Unsicherheit einen besseren Schutz als Talsiedlungen bot.

Rekonstruktion eines eisenzeitlichen Hauses am Ganglegg
Rekonstruktion eines bronzezeitlichen Hauses am Ganglegg
Das 'Ganglegg' ist nur zu Fuß erreichbar. Dort angekommen, treffen Wanderer zunächst auf eine Hütte, die mit einer Rekonstruktion bronzezeitliche Hauskonstruktionen anschaulich macht. Eine weitere Hüttenrekonstruktion vermittelt einen Eindruck eisenzeitlicher Häuser des Alpenraums, deren Baumerkmale offensichtlich auch noch heute Verwendung finden.



Aussicht zum Brandopferplatz 'Hahnehütterbödele'
Archäolgischer Park am Ganglegg
Das archäologische Feld am Ganglegg ist frei zugänglich und macht dank der Informationstafeln interessierten Besuchern die sichtbaren Ergebnisse der Ausgrabungen auch ohne Führung verständlich. Vom Aussichtspunkt am Plateau blicken wir auf ein benachbartes Plateau, auf dem der Brandopferplatz dieser Kultgemeinschaft lag. Knochenfunde lassen auf Tieropfer, aber auch auf Menschenopfer schließen. Einheimische bezeichnen diesen Platz als 'Hahnhütterbödele'.  

Eine umfassende Darstellung der komplexen Kulturgeschichte des 'Gangleggs' ist im Rahmen eines Posts nicht möglich, weshalb diese Anmerkungen lediglich als Anregung zu verstehen sind. Thematisch Interessierten empfehlen wir, den Besuch dieses archäologischen Parks mit einem Besuch des 'Vintschger Museum' in Schluderns zu verbinden, das die Funde ausstellt und kommentiert.

Rückkehr zum Tartscher Bühel

Luftaufnahme des Tartscher Bühles
Der Kurzbesuch des 'Tartscher Bühels' vom 4. Juli motiviert uns zu einer ausführlicheren Exkursion. Die kulturhistorische Bedeutung dieses Geländes ist lange verkannt worden. Inzwischen ist bekannt, dass hier ein altes Siedlungsgebiet verborgen ist, dessen Spuren bis in die Jungsteinzeit reichen. Luftaufnahmen machen Details deutlich. Archäologen sprechen von einer ehemals befestigten Siedlung mit mindestens 80 Häusern und vermuten, dass diese Siedlung noch älter ist als die Siedlung auf dem 'Ganglegg'. Möglicherweise haben die Bewohner die Siedlung am Tartscher Bühel aufgegeben und sind zum Ganglegg umgesiedelt. 




Grundmauern eines rätischen Hauses
Eine erfolgreiche Probe-Ausgrabung legt auf dem 'Tartscher Bühel' Grundmauern eines 'rätischen Hauses' frei. Mit hoher Wahrscheinlichkeit versprechen Ausgrabungen auf dem 'Tartscher Bühel' noch viel reichere Erkenntnisse. Aktuell fehlen jedoch die Mittel für weitere wissenschaftliche Untersuchungen.











St. Veit auf dem Tartscher  Bühel, 11. Jh.
Die kleine Kirche auf dem Tartscher Bühel ist St. Veit gewidmet. Mit ihrer Mauer wirkt die Kirche nicht nur abweisend, sie ist, wie schon bei unserem ersten Besuch am 4.07.2012, auch heute verschlossen. Unsere Recherchen zur Kirche St. Veit sind nicht sehr ergiebig. Wir finden jedoch heraus, dass in den Monaten Juli und August jeweils donnerstags um 17:00 Uhr Führungen veranstaltet werden. Das wollen wir uns nicht entgehen lassen und werden darum einen weiteren Besuch vormerken









Vintschger Museum in Schluderns
Das Vintschger (historische Schreibweise!) Museum in Schluderns haben wir inzwischen besucht, um einen Eindruck von den Funden der Ausgrabungen zu gewinnen. Eine zweite Dauerausstellung ist der historischen Wasserwirtschaft im Vinschagu gewidmet. Beide  Präsentation gefallen uns, weshalb wir einen Besuch des Museums empfehlen können.
Link: Fotoserie des Vintschger Museums in Schluderns

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