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Motiv am Leitenwaal |
Der Zaalwaal und der Ilswaal bei Kortsch/Schlanders waren über fast 30 Jahre für uns die schönsten Waalwege im Vinschgau. Heute sind wir Waalwege bei Schluderns gegangen, deren Attraktivität wir als sensationell empfinden. Moderne Methoden der Bewässerung sind vermutlich effizienter und verdrängen darum das Erbe dieser alten Bewässerungskultur in Südtirol. Dem Tourismus ist zu verdanken, dass einige Waalwege erhalten sind oder instandgesetzt wurden, so dass dieses alte Kulturgut noch nicht vollständig untergegangen ist. Bewirtschaftung und Wartung von Waalen erfolgte auf Wegen, die auf den Seitendämmen der Waale angelegt wurden. Dem Tourismus bietet dieses Wegenetz eine attraktive Wanderweg-Infrastrukur, die auch wir gerne nutzen, wenn das Wetter für Touren im Hochgebirge ungeeignet ist.
Ausgangspunkt unserer Runde ist die Ortschaft Schluderns, von der wir ca. 200 m zum 'Berkwaal' (Bergwaal) aufsteigen. Am Ende des Waalweges queren wir nicht sogleich den Saldurbach, um auf der anderen Seite zurück zu gegen, sondern wir folgen der Saldurschlucht in das Matscher Tal bis unterhalb der Burguinen der ehemaligen Matscher Vögte. Nach dem eindrucksvollen und zum Teil dramatischen 'Bergwaal' ist der Rückweg am 'Leitenwaal' nicht weniger spannend. Der 'Leitenwaal' endet am 'Ganglegg', einem Plateau ca. 200 m über Schluderns, auf dem dank archäologischer Ausgrabungen frühzeitliche Siedlungsspuren zu besichtigen sind. -
Fotoserie
Anmerkungen zum Vinschgau und seinem historischen Bewässerungssystem
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Archaischer Zaun am Leitenwaal |
Der Vinschgau ist ein uraltes Siedlungsgebiet, das von vielen
Kulturen geprägt ist. Kelten, Räter und Etrusker zogen bereits auf
Pfaden durch den Vinschgau. Um die Logistik zwischen Rom und den
nördlich der Alpen gelegenen Provinzen zu verbessern, veranlasste Kaiser
Augustus den Bau der alten Römerstraße 'Via Claudia Augusta'
(Fertigstellung 46/47 n. Chr.), die zwischen Meran und dem Reschenpass
durch den Vinschgau führte.
Im fruchtbaren, aber niederschlagsarmen Vinschgau ist Landwirtschaft nur mit künstlicher Bewässerung möglich. Entwicklung, Bewirtschaftung und Wartung störungsanfälliger Wasserwirtschaftssysteme sind aufwändig. Sie beruhen daher immer auf Kollektivleistungen, die komplexere soziale Strukturen voraussetzen oder zu deren Entwicklung
zwingen. Die Verteilung von Wasserentnahmen und Arbeitsleistungen geht einher mit Regelungsbedarf. Obwohl der Vinschgau reich an Klöstern, Kirchen, Burgen und Schlössern ist, was auf das Wirken kirchlicher und weltlicher Machtstrukturen verweist, entstehen die Bewässerungssysteme des Vinschgaus jedoch nicht auf der Basis 'orientalischer Despotie' (Karl August Wittfogel:
Die orientalische Despotie, 1957). Die Wasserwirtschaft im Vinschgau (und vermutlich im gesamten Alpenraum) organisieren konsensbasierte Zweckgemeinschaften gemäß Regeln der Gegenseitigkeit. Die Strukturen des genossenschaftlichen Land- und Wasserrechtes gehen auf germanisches Stammesrecht zurück und bringen im Vinschgau das ausgedehnteste Bewässerungssystem des
gesamten Alpenraums hervor. Wanderungen auf Waalwegen kann man selbstverständlich auch rein touristisch betrachten. Damit verschenkt man jedoch die kulturhistorische Bedeutungsebene dieser alten Kulturpfade, die weit in die Geschichte zurückreichen.
Link: Wikipedia-Artikel zu Waalsystemen
Wanderung am 'Bergwaal'
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Holzkandl, Brettkandl und Stege am Bergwaal |
Auf seinem Weg aus dem Matschertal zur Mündung in die Etsch ergießt sich der Saldurbach oberhalb von Schluderns in die Saldurschlucht. Dort nehmen der 'Bergwaal' und der 'Leitenwaal' das Wasser auf, das sie zu den Sonnenhängen des Vinschgaus transportieren. Der Bergwaal führt an der östlichen Flanke in die Saldurschlucht in Richtung Matsch. Mittels 'Kandl' und luftigen Stegen überwindet der 'Bergwaal' einige steile Hänge und Einschnitte. ('Kandl' sind hölzerne Kanäle, die aus ausgehöhlten Baumstämmen bestehen, 'Holzkandl', oder aus Brettern gezimmert sind, 'Brettkandl'). An anderen Stellen mussten Feswände durchbrochen werden, um den Waal zu bauen. An steinschlagefährdeten Hängen wurden der Waal ursprünglich mit Baumstämmen oder Felsplatten abgedeckt. Inzwischen werden Waale häufig durch Röhren geleitet.
Tief in der Saldurschlucht trifft der 'Bergwaal' auf den Saldurbach. Eine Brücke erlaubt seine Überquerung, um auf der anderen Seite dem 'Leitenwaal' nach Schluderns zu folgen. Wir gehen jedoch zunächst weiter in Richtung der Matscher Schlösser.
Schlossruinen von Matsch
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Obermatsch (12. Jh) und Burgkapelle St. Martin (12./17. Jh) |
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Burgruine Untermatsch (12. Jh) |
Im Matscher Tal residierten im 12. Jh von ihren Burgen zwei Linien der einst mächtigen Vögte von Matsch, die sich in herzlicher Feindschaft bekämpften. 1297 gelangte die 1250 erbaute Churburg bei Schluderns in den Besitz der Matscher Vögte. Nach ihrem Umzug auf die Churburg überließen die Matscher Herren ihre Stammsitze dem Verfall. 1504 ist dieses Adelsgeschlecht ausgestorben.
Wanderung am 'Leitenwaal'
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Churburg über Schluderns, Tschengelser Wand und Ortler |
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Motiv am 'Leitenwaal' |
Der 'Leitenwaal' folgt einem etwas weniger dramatischen Hang und wirkt darum etwas beschaulicher als der 'Bergwaal'. Allerdings treffen wir auch hier immer wieder auf spannende Abschnitte. Auf dem Rückweg geben Baumlichtungen immer wieder den Blick frei auf Schluderns, den Saldurbach, die 1250 erbaute Churburg sowie auf die Tschengelser Hochwand und den Ortler, dessen Gipfel jedoch in Wolken liegt.
Archäologische Ausgrabungen am 'Ganglegg'
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Bronzezeitliche und römische Gebäudereste am 'Ganglegg' |
Am Ende des 'Leitenwaals' überrascht ein eiszeitlicher Moränenhügel im Mündungsgebiet des Matscher Tales noch einmal mit einem Höhepunkt dieser Wanderung. Auf dem 'Ganglegg', wie dieser Hügel von Einheimischen genannt wird, offenbarten ab 1997 umfangreiche, systematische Ausgrabungen eine mehr als dreitausendjährige Siedlungsgeschichte, in der sich 4 Siedlungsperioden nachweisen lassen, die von der Kupferzeit, über die Bronze- und Eisenzeit, bis zur Spätantike reichen. Die Ausgrabungsstätten sind frei zugänglich und anschaulich kommentiert. Rekonstruierte Gebäude vermitteln Eindrücke von Bauweisen in den jeweiligen Epochen.
Link: Wikipedia-Artikel über 'Ganglegg'
Die Ausgrabungen am 'Ganglegg' bilden für uns heute keine Überraschungen. Wir haben sie nämlich bereits vor 3 Tagen im Rahmen einer archäologischen Wanderung besucht (über die wir in einem eigenen Post berichten werden) und wissen daher, dass am 'Tartscher Bühel', an dem wir aktuell im Falatschhof wohnen, noch ältere Siedlungsspuren zu finden sind, die bis in die Jungsteinzeit zurückreichen und mehr als 5.000 Jahre Siedlungsgeschichte umfassen. Eine bislang nur kleine Grabungskampagne lässt auf dem 'Tartscher Bühel' auf eine befestigte eisenzeitliche Siedlung mit mindestens 80 Häusern schließen.
Bericht und Fotoserie unserer archeologischen Wanderung im Obervinschgau vom 10.07.2012
Nachtrag vom 20.07.2012 zur Wanderung an Schludernser Waalwegen
Heute sind wir noch einmal an den Schludernser Waalen in umgekehrter Gehrichtung auf einer Routenvariante gewandert, die wir als Steigerung des Vergnügens werten:
- Aufstieg von Schluderns Zentrum über Kalvarienberg und Leitenwaal zum Ganglegg (30 Minuten)
- Rundgang am Ganglegg (10 Minuten)
- Dem Leitenwaal bis zur Brücke am Saldurbach folgen (30 Minuten)
- Überquerung des Saldurbaches und Rückweg nach Schluderns am Bergwaal bis zur Abzweigung des Edelweißsteigs (20 Minuten)
- Auf dem Edelweißsteig zum Saldurbach absteigen und dem Weg Richtung Schluderns inkl. dem als Griggwaal ausgewiesenen Anschlussweg (der Griggwaal führt kein Wasser) bis zum Kalvarienberg folgen, von dem auf einem kurzen Abstieg Schluderns erreicht wird (45 Minuten)
Technische Daten:
- Gesamtgehzeit: 2:15 Stunden
- Absoluter Höhenunterschied: 162 m
- Anstieg- und Abstiegsleistung: ca. 200 m (Schätzung)
- Technische Anforderungen: keine
- Konditionelle Anforderungen: leicht
Erlebniswert: Ein Weg der Superlative!
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