Kurz hinter Saubach verlassen wir die Straße zugunsten einer alten Kulturstraße, dem sog. Kaiserweg, der auf die römische Via Raetia zurückgeht.(2) Eine Tafel am Weg erklärt zwar den Kaiserweg, verschweigt aber die Via Raetia. Italienisches Kulturgut scheint am Ritten unbeliebt zu sein. Gesetzlich vorgeschrieben sind in Südtirol 2-sprachige bzw. im ladinischen Sprachraum 3-sprachige Ortsnamen. Italienische Ortsnamen sind am Ritten häufig mit schwarzer Farbe übersprüht und unkenntlich gemacht.
Nach ca. 30 Minuten Wanderung zweigt der Weg zu einem Porphyr-Hügel ab, auf dessen Kuppe die St. Verena-Kirche thront. Etwas abseits vom Anstieg auf den Hügel besichtigen wir ca. 100 m tiefer einen der weltweit verbreiteten und in ihrer Bedeutung bis heute unerklärten mysteriösen Schalensteine, die in Südtirol häufig anzutreffen sind.
Die vermutlich im 13. Jahrhundert errichtete und mehrfach umgebaute Verena-Kirche auf der Porphyr-Kuppe gilt in Anbetracht vieler kulturhistorischer Highlights in Südtirol als keine herausragende Attraktion. Interessanter ist (neben der heute eingeschränkten Aussicht) ihr Standort auf einer prähistorischen Hügelsiedlung, die als Wallburg angelegt war. Detailinformationen sind nicht zu finden.(3)
Auf der Fortsetzung unseres Weges passieren wir in der Streusiedlung Antlas die Kirche St. Andreas und erreichen nach 2 Stunden Wanderung den Zunerhof, die einzige Jausenstation am Wanderweg, an der wir für eine Rast einkehren möchten. Die Webseite des Hofs besagt, dass der Gästebetrieb bis auf benannte Einschränkungen ganzjährig geöffnet ist. Wie so oft, halten Ankündigungen der Realität nicht stand. Ein Zettel informiert über Schließung im Zeitraum 1. Juli (also heute) bis zum 17. Juli. Dumm gelaufen, aber mit eigener Wegzehrung auch schlau geplant.
Auf der Fortsetzung des Weges in Richtung Mittelberg nutzen wir eine asphaltierte Höfestraße und erreichen eine Verzweigung, an der wir Wegmarken vermissen. Wir müssen uns für eine von 2 Alternativen entscheiden. Chancen stehen 50:50. Wir wählen die falsche, was jedoch erst allmählich auf der Strecke zur Gewissheit wird. Umzukehren macht jetzt wenig Sinn, weil die Orientierung unsicher ist. Wir gehen stur weiter zur nächsten Ortschaft und landen im Dorf Lengstein. Ab hier könnten wir uns neu orientieren, aber nach dem Frust ist ein auf dem Dorfplatz wartender Bus nach Bozen die für uns bessere Lösung des Problems. Morgen werden wir in Lengstein neu aufsetzen.(4)
Anmerkungen
- Der Keschtnweg verläuft zwischen Kloster Neustift im Eisacktal und Burg Runkelstein am Eingang des Sarntals bei Bozen. Der Begriff 'Ketschn' ist eine mundartliche Bezeichnung für Kastanie (Ketschn). Edelkastanien (Esskastanien) waren vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert in Bergregionen Südeuropas ein Hauptnahrungsmittel der Landbevölkerung. In Südtirol und insbesondere im Eisacktal sind viele Kastanienhaine erhalten, deren Früchte im Herbst die Südtiroler Küche bereichern.
- Im Talgrund des Eisacktal wurden Straßen erst ab dem 14. Jahrhundert erschlossen.
Vorher führten Handelsrouten und Heerstraßen zwischen Bozen und Brixen
über den Höhenzug des Rittens. Der Keschtnweg nutzt z.T. die Trasse eines Abschnitts des ehemaligen Kaiserwegs. Könige, die zur Kaiserkrönung mit ihrem
Tross nach Rom zogen und als Kaiser zurückkehrten, mussten den Ritten
überqueren. Die Route wurde/wird auch von Pilgern des Jakobwegs genutzt und ist in der Gegenwart als ein Ast des Südtiroler Jakobwegs markiert.
Der Kaiserweg verläuft auf der ehemaligen römischen Via Raetia. Die bekannten Verkehrsprobleme am Brenner sind nicht von Römern verusacht, aber Römer haben immerhin unter Kaiser Septimius Severus im 2. Jahrhundert n. Chr. mit der Via Raetia eine Alpenüberquerung über den Brennerpass erschlossen, die komfortabler und kürzer als die Via Claudia Augusta über den Reschenpass war und damit den Brennerpass zum wichtigsten Übergang in den Ostalpen gemacht. - In Südtirol sind zahllose prähistorische Artefakte zu finden, von denen nur ein kleiner Anteil wissenschaftlich untersucht und beschrieben ist. Fundstätten können noch mehrere Generationen von Wissenschaftlern beschäftigen, sofern kulturhistorisches Interesse nicht versandet und Mittel bestehen.
- Fortsetzungen unserer Wanderungen auf dem Keschtnweg:
02.07.2017: Ritten-Wanderung auf dem Keschtnweg von Lengstein nach Unterinn
03.07.2017: Kulturwanderung auf dem Keschtnweg von Barbian nach Klausen
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