Naturverbundene Einstellungen und unweltverträgliches, die Natur schützendes nachhaltiges Verhalten scheinen im Obervinschgau stärker ausgeprägt zu sein als in anderen Teilen des Landes. Immer mehr Betriebe stellen auf biologische Methoden um. Offenbar nehmen das Bewusstsein für Nachteile des Pestizideinsatzes und auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Denkweisen im Obervinschgau zu.(1) Ein weiteres Beispiel für Umdenken liefert das Dorf Matsch, eine Fraktion der Gemeinde Mals in einem Seitental des Vinschgaus. Seit 2017 ist Matsch das erste Südtiroler Bergsteigerdorf.(2)
Heile Welt im Obervinschgau? Keineswegs! Vielleicht ein wenig mehr als in anderen Regionen, aber nur dort, wo massive wirtschaftliche Interessen nicht blockieren, lernen wir heute einmal mehr auf dem Panoramaweg (Tourenbeschreibung) zwischen Bergstationen der Skigebiete Schöneben und Haideralm oberhalb des Reschensees.(3) - Fotoserie - ca. 11 km, 4 Stunden Gehzeit, 500 Höhenmeter
Baustelle im Skigebiet Schöneben-Haideralm
Zuletzt sind wir den Panoramaweg vor 2 Jahren gegangen (Post vom 14.08.2016) und haben sie nicht an den Endpunkten, aber zwischen ihnen genossen. Ahnungslos geraten wir heute an der Bergstation Schöneben in eine Großbaustelle, die Fragen aufwirft und uns den Einstieg verdirbt. Beim Anblick laufender Erdbewegungs-, Planierungs- und Baumaßnahmen trifft uns fast der Schlag. Offensichtlich entsteht ein neues bzw. auszuweitendes Skigebiet für alpine Abfahrten.(4) Nach der Wanderung informieren wir uns über die Maßnahmen und erfahren, dass mit diesem Projekt die Skitechnische Verbindung Schöneben-Haideralm realisiert wird und dabei auch neue Abfahrtspisten, Seilbahnen und Beschneiungsanlagen inkl. der für den Betrieb erforderlichen Infrastruktur entstehen.(5)
Wanderung auf dem Panoramaweg
30 Minuten gehen wir durch die Großbaustelle an der Bergstation Schöneben. Nachdem diese Hürde genommen ist, können wir durchatmen und genießen. Der Weg ist völlig zu Recht als Panoramaweg benannt. Trotz heute eingeschränkter Sichtbedingungen belohnt der Weg dank geringer Höhenunterschiede kleine Mühe mit großer Aussicht.
Nach 2-stündiger Wanderung erreichen wir am Aussichtspunkt 'Roter Eck' den höchsten Punkt des Weges (2.312 m). In wenigen Minuten könnten wir zum etwas tiefer liegenden Gasthof Haideralm an der Bergbahn Haideralm gehen, aber dorthin zieht uns nichts. Wir rasten am Aussichtspunkt 'Roter Eck' und gehen den gleichen Weg zurück noch einmal durch die denkwürdige Großbaustelle.
Natur- und Umweltbewusstsein im Vinschgau
Im Vinschgau und nicht nur dort gehen Monokulturen mit intensivem Einsatz von Pestiziden einher. Nur dank Einsatz von Pestiziden lässt sich Landwirtschaft profitabel betreiben, argumentieren konventionelle Landwirte. Biologische Vielfalt (Biodiversität) nimmt zwangsläufig ab. Der Einfluss von Pestiziden auf diese Entwicklung und Fragen langfristig schädlicher Auswirkungen von Pestiziden auf Ökoksysteme sind ebenso strittig wie die Frage des unmittelbaren Einflusses von Pestiziden auf die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen.(6) Mögliche Kollateralschäden werden je nach Lager abgestritten, ignoriert, billigend in Kauf genommen oder angeprangert.(7) In Mals beschließt die Gemeindevertretung 2016 ein Pestizidverbot. Inzwischen ist es wieder aufgehoben. 2 Fraktionen kämpfen mit weichen und harten Bandagen für oder gegen ein Verbot des Einsatzes von Pestiziden. Für ihren Kampf nutzen sie legale und illegale Mittel.(8,9)
Anmerkungen
- Vor 1997 haben 15 Bio-Bauern den Verband Bio-Vinschgau gegründet, der mittlerweile 236 Mitglieder hat: Bio ist klar geregelt
Während 5 % der Apfelproduktion in Südtirol aus biologischem Anbau stammen (Südtirol setzt auf Bio-Anbau) beträgt der Anteil im Vinschgau 15 % (Neues Bio-Kompetenzzentrum im Vinachgau entsteht). - 'Bergsteigerdorf' ist ein Qualitätssiegel zur Förderung alternativer und
naturnahe Tourismusentwicklung im gesamten Alpenraum. Mit diesem Ziel
unterwerfen sich 'Bergsteigerdörfer' der Programmatik eines strengen
Kriterienkatalogs. - Quellen:
- Wikipedia: Bergsteigerdörfer
- Grundsätze der Bergsteigerdörfer
- Portal Bergsteigerdörfer mit Webseite zum Bergsteigerdorf Matsch und Download der Einzelbroschüre Matsch)
- Artikel der SZ vom 14.08.2017: Klein, fein - aber weiterhin arm? - Der Post ergreift Partei, aber er möchte nicht anklagen und erst recht nicht verurteilen. Der Post möchte Interessenkonflikte und deren Auswirkungen aufzeigen. Konflikte dieser Art sind nicht typisch für den Vinschgau oder Südtirol, sie sind allgegenwärtig und variieren je nach Kulturraum lediglich hinsichtlich Thematik und Intensität.
- Getrieben wird das Projekt von wirtschaftlichen Interessen der
Tourismusindustrie und Erwartungen steigender Gästezahlen und
Übernachtungsquoten, wobei Skitourismus natürlich mehr 'Wertschöpfung'
verspricht als Wandertourismus. Die entstehende Infrastrukur soll als
Bikeparcours in Sommermonaten zusätzliche MTB-Downhill-Raser anziehen. Wanderer werden zu Störern.
Dass wirtschaftliche 'Wertschöpfung' dieses Projektes den Naturraum abwertet, nehmen die Protagonisten des Projekts in Kauf und schlucken den Katalog von Auflagen des Umweltbeirates, durch den sich Wunden der Natur nicht heilen lassen, der aber zur Legitimierung des Projektes beiträgt. Wir fragen uns: Was mögen diejenigen, in deren Interesse und zu deren Bespaßung das Projekt stattfindet, denken und fühlen, wenn sie die Baustelle sehen würden? Müssten sie nicht zweifeln und ihr Verhalten überdenken? Vermutlich wäre das nicht der Fall und vermutlich würde ein Riss zwischen unversöhnbaren Fraktionen auch auf Seiten touristischer Nachfrage sichtbar werden.
Ohne Nachfrage gäbe es keine Angebote. Angebote erzeugen ebenfalls Nachfrage und lassen die Entwicklung einer Spirale befürchten, die selbstverständlich irgendwann zusammenbricht, aber bis zu diesem Zeitpunkt irreversible Schäden hinterlassen kann. Während Anbieter und Nachfrager eine starke Koalition bilden, kennen Natur und Ökologie kein ethisches Verhalten und verfolgen keine langfristigen Ziele. Der Schutz von Natur und Umwelt liegt im mittel- bis langfristigen menschlichen Interesse, das jedoch gegen kurzfristige wirtschaftliche Interessen und vermeintliche Sachzwänge selten und dann meistens auch nur eingeschränkt durchsetzen werden kann.
Als Bergsteigerdorf möchte Matsch ebenfalls von mehr Tourismus profitieren, aber mit dem Siegel des Bergsteigerdorfs verspricht Matsch umweltverträglichen, nachhaltigen Tourismus zu fördern, der Natur nicht zerstört, sondern zu deren Erhalt beiträgt. - Über das Projekt und seine Kosten von 27 Millionen Euro berichtet der Vinschgerwind: Große Baustelle - große Auswirkungen
- Die in Deutschland als gemeinnützig anerkannte internationale Umweltschutz-Organisation Greenpeace informiert entschlossen und eindeutig in ihrem Web-Portal über Pestizide, deren Einsatz und deren Folgen, aber sie kann sich nur wenig Gehör verschaffen: Pestizide außer Kontrolle in der Landschaft
Lesenswert sind mehrere auf der Webseite im PDF-Format downloadbare Publikation zu diesem Thema:
- Gift und Gentechnik in der Landwirtschaft
- Pestizide und unsere Gesundheit
- Der bittere Beigeschmack der europäischen Apfelproduktion - Bericht zur Lage und zur Stimmung im Portal 'INFOsperber' der gemeinnützigen «Schweizerische Stiftung zur Förderung unabhängiger Information»: Kampf den Pestiziden: Ein Dorf probt den Aufstand
- Über die Initiative haben wir schon einmal im Juli 2015 berichtet: Mals - gallisches Rebellendorf im Vinschgau
- Legal ist 2016 ein vom Gemeinderat beschlossenes Pestizid-Verbot zustande gekommen, nachdem bei einer im September 2014 durchgeführten Volksabstimmung sich die
Bewohner der Gemeinde mit einer Zustimmung von 75,88 % bei einer Wahlbeteiligung von ca. 70 %für Mals als "erste pestizid-freie Gemeinde Europas" aussprachen (Wikipedia).
40 Landwirte der Gemeinde sind mit dem Pestizid-Verbot nicht einverstanden. Mit Unterstützung des eher pestizidfreundlichen Bauernverbandes und mit juristischem Beistand bewirkten sie beim Bozener Landesgericht ein Aussetzen des Verbots von Pestizideinsatz (Malser Pestizidverordnung ausgesetzt). Die Gegenseite trägt ihr Anliegen zum Wirtschafts- und Sozialausschuss der EU (Der Malser Weg führt erneut nach Brüssel). Abschließende Entscheidungen stehen aus.
Illegal sind dagegen Verwüstungen von Familiengräbern, Gärten und Morddrohungen, wie sie Josef Fragner-Unterpertinger erlebt hat, Malser Apotheker und Sprecher des Unterstützungskomitees der Pestizidgegner, der 3 Monate unter Personenschutz gestellt werden musste: Kampf den Pestiziden: Südtiroler Gemeinde greift durch.
Illegal sind Anschläge auf Plantagen von Biobauern in Partschins und Rabland (gemeinden im unteren Vinschgau: Obstwiesen mutwillig mit Glyphosat zerstört.
Illegal ist ein Glyphosat*-Angriff auf Apfelbäume des Glurnser Biobauers Ägidius Wellenzohn. Dieser ist nicht nur Befürworter und Aktivist des Malser Pestizid-Verbots, sondern er betreibt die einzige Apfelanlage in Südtirol, in der überhaupt nicht gespritzt wird. Zufall? Der Anschlag erregt über Südtirol hinaus Aufsehen auch in Nachbarländern. Medien berichten glaubwürdig über diesen Anschlag, dessen Täter öffentlich nicht bekannt sind, aber unter Gegnern des Pestizid-Verbots zu vermuten sind:
- Südtirol News: Nach Glyphosat-Angriff: LR Schuler ruft zur Mäßigung auf
- taz: Gift für Öko-Aktivisten
- Stol: Giftanschlag auf pestizidfreie Apfelanlage
- Südtiroler Tageszeitung: Der Glyphosat-Angriff
- Vinschgerwind: Solidarität mit Ägidius Wellenzohn
- Salto: Was will man damit erreichen?
- Salto-Interview mit Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler: Ich sehe keinen Krieg
- taz: Gift für Öko-Aktivisten
- Marbacher Zeitung: Gift-Anschlag in der Apfelanlage schockiert Glyphosat-Gegner
- Stern: Das kleine Dorf in Südtirol, das im Alleingang alle Pestizide verbietet
- Greenpeace: Rekurs und Anschlag auf Bio-Apfel-Plantage
* Informationen zu Glyphosat, seiner Verbreitung, seiner Berwertung:
- Privat finanzierte Studie zur Glyphosat-Belastung der Bevölkerung in Deutschland: Urinale 2015 - Urinale Blog
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