Donnerstag, 23. August 2018

Wanderglück mit Einkehrglück auf einsamen Wegen zwischen Prad und Tschengls

TschenglsObervinschgau aus Richtung Lottersteig Ein sich näherndes Tiefdruckgebiet motiviert zu einer Wanderung in der Umgebung unseres langjährigen Stammquartiers, dem Falatschhof bei Glurns im oberen Vinschgau. Nach der Tour auf den Tellakopf am Vortag (Post vom 23.08.2018) möchten wir heute 'gemütlich' zwischen Prad und Tschengls wandern. Traditionell missrät diese Absicht, wie auch heute. Dank vermeintlicher Ortskenntnisse verzichten wir auf Detailinformationen. Preis der Dummheit sind Umwege und unnötige Anstrengungen, auf einer Route mit ca. 900 Höhenmetern auf ca. 16 km Strecke mit fast 5 Stunden Gehzeit. Nach der Tour sind zwar die Beine schwer, aber Eindrücke und Erlebnisse dieser schönen Runde wiegen deutlich mehr. - Fotoserie


Wanderin unter Lärche am Lotterpass 1Lotterpass 2Wir beabsichtigen, den Lottersteig (ein 9,2 km langer Rundweg bei Prad mit 480 m Höhendifferenz) nach Tschengls zu verlängern. Das Auto parken wir an den Schweinböden oberhalb von Prad und leihen uns damit zunächst ca. 100 m Höhe, die wir auf dem Rückweg zurückzahlen müssen (mit ungeplanten Zinsen, auf die später einzugehen ist).

Wanderer am Platzgernunhof Platzgernunhof Wanderin am Platzgernunhof

Nach ca. 1 Stunde überwiegend moderatem Anstieg (ca. 260 m) durch schattigen Lärchenwald treffen wir beim Platzgernunhof auf zwei brandneue, zur Rast einladende Ruhebänke. Ruhebedarf verspüren wir noch nicht, aber die Bänke wollen selbstverständlich erprobt werden. Wenig später passieren wir die nicht mehr genutzte Naumühle, die ihr Wasser ehemals aus einem inzwischen verrohrten Waal bezog und begegnen einer kleinen Gruppe von Wandern. Weitere Wanderer treffen wir auf unserer Route heute nicht.


Kirche St. Ottilia Tschengls Burgruine Tschenglsberg (Hinterburg)

Beim Standleierhof verlassen wir den talwärts führenden Lottersteig. Der Runggsteig bietet einen direkten Weg nach Tschengls ohne viel Profil, wir gehen jedoch den über die Burgruine Tschenglsberg führenden Weg Nr. 15, auf dem steil ca. 180 m Höhe zu gewinnen sind. Vom Weg Nr. 15 betrachten wir die als 'Hinterburg' bezeichnete Burgruine Tschenglsberg aus verschiedenen Richtungen und blicken hinab zum Kirchlein St. Ottilia, an der unserer Rückweg vorbeiführen wird. Absteigend gelangen wir in weiten Bögen nach Tschengls, ein traditionsbewusstes Dorf abseits von Touristenströmen, das Touristen nicht abschreckt, aber auch nicht anzuziehen versucht. In Tschengls gehen wir geradewegs zum Schloss Tschenglsburg, um im Burgrestaurant nach dreistündiger Wanderung einzukehren.


Restaurant Schloss Tschenglsburg Schloss Tschenglsburg (Vorderburg) Pächter des Restaurants ist seit 2011 Karl Perfler, der uns im Hof der Burg freundlich begrüßt und sogleich das Gespräch mit uns sucht. Karl Perfler ist im Vinschgau eine fast schon berühmte Persönlichkeit mit bunt schillerndem Profil. Der ehemalige Hüttenwirt und Wanderführer versteht sich nicht als 'Wirt', sondern als Heimatforscher, Bewahrer Südtiroler Kultur,  Lebensphilosoph, visionärer Traumjäger und Vermittler einer heilen und alle Menschen nährenden Welt. In der Tschenglsburg betreibt Karl Perfler kein Restaurant, sondern ein 'Kulturgasthaus', in dem er für interessierte Menschen Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, Filmabende, Gesprächskreise etc. organisiert.


Vinschger Krapfen gefüllt mit Marillenkonfitüre und MohnSalat mit Putenbrust Die kulinarische Versorgung mit traditionellen Südtiroler Gerichten kommt nicht zu kurz. Unsere Frage nach Kuchen stößt jedoch ins Leere. "Wir haben keinen Kuchen, weil es in Tschengls keinen Tourismus gibt. Die Tschenglser backen ihren Kuchen selbst." Immerhin werden traditionelle Vinschger Kirchtagskrapfen mit Marillen- und Mohnfüllung angeboten. Krapfen sind ein ehemaliges Festtags-Dessertgebäck, dass es früher nur 2x im Jahr im Vinschgau gab, erklärt Karl Perfler. Die Krapfen sind gut, der Salat mit Putenbrust ebenfalls. Während wir uns als exotische Besucher stärken, strömen nach und nach immer mehr Gäste in den Burghof, lauter Einheimische, fast ausschließlich Männer, alle kennen sich. Vermutlich verbringen sie hier ihre im Vinschgau sakrosankte Mittagspause. Später finden noch zwei ortsfremde Männer den Weg in den Burghof. Sie wollen für sich bleiben und sitzen abseits.


Kirche St. OttiliaWallfahrtskirche Mariä Geburt (1510)Wallfahrtskirche Mariä Geburt

Gestärkt treten wir den vermeintlich deutlich kürzeren und flacheren Rückweg an, den wir an der Pfarrkirche Mariä Geburt für eine Besichtigung unterbrechen. Unser Wanderweg Nr. 7 ist ein Abschnitt des Südtiroler Jakobswegs und führt am Kirchlein St. Ottilia inmitten von Obstplantagen vorbei. Die Kirche ist verschlossen, aber ihre kulturhistorische Bedeutung ist ohnehin nicht herausragend.
Auf halbem Weg zwischen Tschengls und Prad tauschen wir Orientierung gegen Chaos. Kurz vor dem Nickkreuz verzweigen wir auf den als Naturlehrpfad gestalteten unteren Abschnitt des Lottersteigs, um zum Parkplatz an den Schweinböden aufzusteigen. Wir verpassen eine Verzweigung, steigen immer weiter auf und erkennen nach fast 300 m Anstieg, dass wir uns wieder auf dem oberen Abschnitt des Hinwegs befinden. Den weiten Bogen durch die Tschrinbach-Schlucht möchten wir vermeiden und suchen nach einer Abkürzung auf dem Höfeweg, der uns jedoch weit hinunter führt, sodass wir anschließend zum profilierten Naturlehrpfad erneut aufsteigen müssen. Als sich nach fünfstündiger Wanderung die Runde schließt, sind wir müde und durchaus auch frustriert über eigene Dummheit. Trotzdem werten wir die Runde ausgesprochen positiv und nehmen uns vor, sie im nächsten Jahr wieder zu gehen, aber dann mit mehr 'Köpfchen'.

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