Lila Krönung ist der Name eines 47 km langen Wanderwegs zwischen Schneverdingen und Amelinghausen, den wir heute nur auf einem kurzen Abschnitt gehen. Unsere Wanderung führt in das Zentrum der touristischen Top-Region des Naturschutzgebiets Lüneburger Heide, das alle Klischees von Heide-Romantik zuverlässig bedient. Highlights der Region sind touristische Hotspots, denen wir gerne ausweichen, die wir jedoch heute bewusst in Kauf nehmen. Unsere Wanderung startet in Undeloh, wo die Kapazität des kostenpflichtigen Parkplatzes auf zu erwartende Betriebsamkeit einstimmt. Am Morgen sind viele Parkplätze frei. Am Nachmittag sind alle Plätze besetzt, was üblich zu sein scheint, wie zahlreiche Souvenirstände, Restaurants, Cafés, Imbisse nahelegen. Zusätzlich wartet in Undeloh am Kutschenbahnhof eine endlose Reihe Pferdekutschen unterschiedlicher Größe auf Kundschaft. Preise pro Kutsche beginnen je nach Strecke und Größe der Kutsche ab 50 € (Kutschfahrten in Undeloh). Das Geld sitzt locker. Auf dem Weg nach Wilsede passieren uns pausenlos Kutschen. - Fotoserie
Wilseder Heide und Wilsede
Abgesehen von Ausnahmeregelungen ist das Kerngebiet für KFZs gesperrt. Im Besucherstrom dominieren ältere Semester reiferer Jahrgänge, die sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf den Weg machen, wenn sie sich nicht von einer der Pferdekutschen nach Wilsede transportieren lassen. Ca. 4 km von Undeloh erreichen wir in Wilsede das Epizentrum der Lüneburger Heide. Eine lockere Ansammlung vorindustrieller Heidehöfe ernährt in Wilsede 46 vom Tourismus lebende Einwohner (2012).
An einem Wilseder Gasthaus treffen wir auf ein Zitat von Johann Gottfried Seume (1763 - 1810), dem wir voll zustimmen: „Es ginge alles besser, wenn man mehr ginge.“ Seumes Statement ist Ausdruck einer für uns nachvollziehbaren Lebenshaltung. Auf mehreren großen Wanderungen durch Europa legte Seume Tausende Kilometer zu Fuß zurück und sammelte dabei Eindrücke, die er als Reiseschriftsteller verarbeitete. Besucherprozessionen nach Wilsede wollte Seume sicher nicht provozieren. In der Hochsaison strömen bis zu 10.000 Besucher pro Tag nach Wilsede. Gemäß eigener Einschätzung sind wir von dieser Zahl heute glücklicherweise noch ein gutes Stück entfernt. Wuselig ist es trotzdem in Wilsede. Der Rummel treibt uns sogleich fluchtartig weiter zum Aussichtspunkt Totengrund.
Totengrund
Der Totengrund, ein mit Heide und Wacholder bewachsener Talkessel, steht unter strengem Naturschutz und darf nicht betreten werden. Aus allen Himmelsrichtungen führen Wege bis an den Rand des Totengrunds. Die Herkunft des Namens ist unsicher. Einen attraktiven Ausblick auf den Totengrund bietet ein ca. 1 km von Wilsede entfernter Aussichtspunkt, der viele Besucher anzieht. Ähnlich wie am Grand Canyon erfordern die besten Aussichtplätze geduldiges Warten auf einen frei werdenden Platz. Geduld zählt nicht zu den eigenen Stärken. Auf der Fortsetzung zum Steingrund wird das Feld erfreulicherweise dünner.
Steingrund
Der Steingrund ist kaum weniger attraktiv als der Totengrund, aber er ist von Wilsede weiter entfernt. Anspruchsvollere Wanderwege dieser Route sind nur von fitten Wanderern und sportlichen Mountainbikern zu bewältigen. Fitte Wanderer bilden eine Minderheit und sportliche Mountainbiker verschonen uns. Diese Bedingungen sorgen endlich für jene beschauliche Ruhe, die unseren Genuss an der Wanderung erheblich steigert. Vom Steingrund führt der Weg über Wilsede zum Wilseder Berg. Zum Wilseder Berg gehen wir in einem Besucherstrom. Auf diesem Abschnitt verlaufen parallel der ca. 8.000 km lange Europäische Fernwanderweg E1 zwischen dem Nordcap und Sizilien sowie der Heidschnuckenweg, ein 223 km langer Fernwanderweg zwischen Hamburg und Celle.
Wilseder Berg, 169,2 m
Mit 169,2 m Höhe ist der Wilseder Berg der höchste Berg der Lüneburger Heide und für viele Besucher ein Must-do. Die Höhe der Erhebung hat keinen sportlichen, sondern nur statistischen Wert. Den Besuch rechtfertigen vor allem attraktive Rundblicke, die sich vom Plateau dieser als eiszeitliche Endmoräne entstandenen Erhebung in alle Richtungen bieten.
Obwohl seit Daniel Kehlmanns Erfolgsroman Die Vermessung der Welt der geniale Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777 - 1855) einen gewissen Bekanntheitsgrad erlangt hat, findet auf dem Plateau ein Gauß gewidmeter Granitfindling mit Gauß-Plakette wenig Beachtung. Gauß studierte u.a. bei Georg Christoph Lichtenberg (1742 - 1799), der vor allem durch seine von ihm als Sudelbücher bezeichneten hinterlassenen Notizhefte bekannt ist. Lichtenbergs geodätische Vermessungen von Hannover waren ungenau. König Georg IV. beauftragte Gauß 1820 mit der Vermessung des Königreichs Hannover. Dank innovativer Methoden und aufgrund seiner mathematischen Fähigkeiten gelang Gauß die Vermessung mit einer für die damalige Zeit unglaublichen Genauigkeit. Den Wilseder Berg nutzte Gauß als einen seiner Triangulationspunkte, die mit Steinsäulen markiert waren. An die geodätische Leistung erinnert eine 1925 auf dem Plateau errichtete Gauß-Säule.
Undeloher Heide
Auf dem Rückweg nach Undeloh vermeiden wir Wilsede und wandern abseits vom Dorf auf einem relativ einsamen Weg durch die Undeloher Heide. Dort treffen wir auf eine große Herde Heidschnucken und Ziegen, die als Landschaftspfleger zum Erhalt von Heideflächen beitragen, die im Zeitraum der letzten 1.000 Jahre durch menschliche Eingriffe des Plaggens entstanden sind (Wikipedia: Entstehung und Entwicklung der Heidelandschaft). - 14,1 km, 3:30 Std. Gehzeit
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