Freitag, 26. Juli 2019

Überraschungs-Wanderung an der Spitzigen Lun

Gipfel Spitzige Lun, 2324 m, Obervinschgau, Ortlerberge Den Malser Hausberg Spitzige Lun haben wir schon häufiger und in unterschiedlichen Varianten besucht: von Mals, von Matsch im Matscher Tal, von Planeil im Planeiltal und mehrfach als Überschreitung von Matsch nach Planeil. Zuletzt waren wir vor 3 Jahren auf dem Gipfel (Post 12.08.2016) und möchten heute Erinnerungen mit einer Tour von Matsch nach Planeil auffrischen. Das Auto wollen wir nicht bewegen, sondern den Bus nach Matsch nehmen und von Planeil mit dem Bus zurückkehren. Für die Wanderung kalkulieren wir max. 3,5 Std., sodass wir rechtzeitig zurück sein werden, wenn das für den Nachmittag angekündigte Gewitter eintrifft.  
"Kein Plan überlebt die erste Feindberührung!", wusste bereits der als Kriegsstratege geachtete preußische Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke. Wir betrachten den Alpenraum nicht als Feind und ziehen nicht in den Krieg, aber auch unsere Planung muss sich an Bedingungen der Realität bewähren. Das geht heute gründlich schief.

Die erste Überraschung beginnt bereits am Falatschhof, an dem Obstplantagen heute großflächig beregnet werden. Wenn wir durch die Beregnung zur Bushaltestelle gingen, würden wir die Fahrt mit dem Citybus zum Bahnhof Mals als begossene Pudel antreten. Das wollen wir vermeiden und fahren mit dem Auto zum Bahnhof Mals, von dem um 8:14 Uhr der Bus nach Matsch abfahren soll. Ab 8:00 Uhr warten wir auf den Bus, der keine lange Anfahrt hat, aber trotzdem bis 8:30 Uhr nicht eintrifft. Zum Glück sind wir mit dem Auto zum Bahnhof gefahren, mit dem wir jetzt die Fahrt nach Planeil fortsetzen, um von dort auf die Spitzige Lun zu gehen. Die Überschreitung ist jedoch gestorben, weil das Auto in Planeil parkt.

Vermeintlich kennen wir den Weg wie unsere Westentasche und stapfen ohne Achtsamkeit auf einem Wirtschaftsweg Richtung Gipfel. Irgendwann wird uns klar, dass wir die zum Gipfel führende Abzweigung verpasst haben. Wir haben bereits ordentlich Höhe auf einem komfortabel zu begehenden Forstweg gewonnen und wollen jetzt nicht mehr umkehren, zumal der Forstweg mit einem gelben Balken markiert ist und vermutlich zu einem Ziel in der Nähe unseres Ziels führen wird. Nach ca. einer Stunde endet der Forstweg. Unsere Wanderkarte zeigt keine Fortsetzung, obwohl die Route in einen wenig begangenen markierten Pfad übergeht, der abwechselnd und teilweise ziemlich abenteuerlich steigend und fallend entlang einer Metallleitung am oft steilen und stellenweise ausgesetzten Hang nach Osten führt. Nach einer Stunde endet dieser alpine Abenteuerpfad an einer Lichtung mit einem kleinen Weiher und einem Picknickplatz, der sich für eine Rast anbietet.

Jetzt können wir uns wieder orientieren und erkennen nicht weit entfernt den Weg Nr. 12, der Mals mit der Spitzigen Lun verbindet. Wir befinden uns über Mals in 1.960 m Höhe weniger als 400 Höhenmeter unterhalb des Gipfels, der in ca. einer Stunde erreichbar sein sollte. Kein Problem, sagen wir uns, bis die beste aller Ehefrauen schlagartig flügellahm wird. In diesem Tempo erreichen wir den Gipfel bestenfalls in 2 Stunden, wenn überhaupt. Der kluge Bergführer schlägt eine Alternative vor: Abstieg zum Vinschger Höhenweg, um auf diesem zurück nach Planeil zu gehen. Der Vorschlag findet Zustimmung.

Wir folgen ein Stück dem absteigenden Weg Nr. 12 in Richtung Mals, bis wir auf einen Wirtschaftsweg treffen, den vermeintlich auch der Vinschger Höhenweg nach Planeil nutzt. Nach der Abzweigung führen weite Kehren zunächst scheinbar in das Planeiltal. Skeptisch stimmt uns der Anstieg. Je höher wir steigen, desto deutlicher erkennen wir, dass wir uns im Kreis bewegen, gleich wieder auf unsere Pausen-Lichtung oberhalb von Mals treffen werden und nichts gewonnen haben. Wir kehren um und fassen einen neuen Plan: Abstieg nach Mals, von wo wir mit dem Bus nach Planeil fahren, um das Auto abzuholen.

Zu unserer Überraschung treffen wir auf dem Abstiegsweg bei Malettes auf den Vinschger Höhenweg und einen Wegweiser nach Planeil. Lt. Karte sieht der Weg von Malettes nach Planeil überschaubar aus und sollte in 1-1,5 Stunden machbar sein. Nicht ahnend, dass der Stand unserer Kompasskarte aus dem Jahr 2015 veraltet ist (vielleicht auch nie korrekt war) und der Vinschger Höhenweg völlig anders als eingezeichnet verläuft, entscheiden wir uns für die Richtung Planeil.

Entgegen der Karten-Information führt der Weg nicht in das Tal, sondern in die Höhe, was wir aber noch nicht zu bewerten wissen. Wir sind bereits mehr als 4 Stunden unterwegs, als ein weiterer Wegweiser "Planeil 2 Stunden" aussagt. Das kann nicht sein, sagen wir uns. Wir vermuten den Irrtum am Wegweiser. Planeil geben wir als Ziel nicht auf.

Als ehemalige Ultra-Runner haben wir gelernt, physische und psychische Krisen unter Ausdauerbelastungen zu handhaben und den Kopf umzuprogrammieren. Obwohl wir um ein Vielfaches leistungsfähiger sind, als Botschaften körpereigener Systeme melden, wissen wir aus eigener Erfahrungen, dass unser biologischer Apparat den Schongang in der Komfortzone bevorzugt und Arbeitsverweigerung bei ausdauernder höherer Beanspruchung ankündigt. Selbstverständlich handelt es sich um evolutionär entwickelte Schutzmechanismen. In der Gegenwart haben diese Schutzmechanismen für typische Lebensstile in Wohlstandsländern ihre Funktion verloren. Genetisch codierte Schutzschaltungen können dem Tempo veränderter Lebensumstände nicht folgen und erweisen sich darum i.d.R. als Fehlschaltungen, die uns über Zeit in der Gegenwart mehr schaden als nutzen. Sie belohnen Bewegungsarmut und Ernährungsfehler mit Emotionen des Wohlbefindens, die den Weg für mörderische Zivilisationskrankheiten ebnen.

Die Erkenntnis, dass tatsächlich die Wanderkarte irrt, stellt sich allmählich ein. Inzwischen naht auch das angekündigte Gewitter mit dunklen Wolken und dumpf drohendem Grollen. Soweit wie möglich müssen wir uns sputen, aber der Höhenweg wird anspruchsvoller und verlangt konzentrierte Vorsicht, bis wir wieder den Wirtschaftsweg des Hinwegs erreichen. Erste Regentropfen beschleunigen unseren Schritt. Um 15:00 Uhr treffen wir nach 6-stündiger Wanderung in Planeil ein. Am Ziel sind wir erschöpft, verspüren aber trotz aller Frustration auch Stolz auf unsere Leistung. In der Unterkunft am Falatschhof gönnen wir uns eine nur kurze Augenpflege, weil wir für 18:00 Uhr im kürzlich neu eröffneten Glurnser Restaurant Flurin zum Dinner reserviert haben. Über dieses Erlebnis berichtet der Post: Dinner im neuen Glurnser Restaurant Flurin

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