Sonntag, 26. Juli 2015

Hindernisse, Umleitungen, Ärgernisse, Wanderglueck am Stundenweg vom Kloster St. Johann zur Abtei Marienberg

Kloster St. Johann im Val Müstair unter dem Fallaschkamm
Der Stundenweg vom Kloster St. Johann im Val Müstair im Schweizer Kanton Graubünden zur Abtei Marienberg in Burgeis, Vinschgau verbindet mehrere lokale Wanderwege zu einem Themenweg.(1) 24 Stundentafeln, die jeweils eine Stunde des Tages symbolisieren, gliedern den Weg mit kontemplativen Texten und Bildern. Der Weg ist nicht durchgehend einheitlich numiert und in unserer Wanderkarte (Tabacco 044) nicht verzeichnet(2) , aber an relevanten Wegpunkten können wir mittlerweile Wegweisern vertrauen, was vor 3 Jahren noch nicht der Fall war.(3) Den ca. 19 km langen Weg sind wir zuletzt vor 2 Jahren gegangen(4) und kennen daher vermeintlich Anspruch der Route und Schwierigkeiten der Orientierung. Doch es sollte anders kommen als gedacht. Die Wanderung gerät zu einem von unnötigen Ärgernissen begleiteten kleinen Abenteuer, das uns neue Wanderrouten erschließt und am Ende des Tages glücklich stimmt. Diashow der Fotoserie



Kloster St. Johann (ab 8. Jh.) im Val Müstair
Der schweizer Postbus 811 bringt uns zum Kloster St. Johann im Val Müstair, eine karolingische Gründung des 8. Jahrhunderts. Der Fahrer verabschiedet uns sehr nett mit persönlichen Worten am Kloster 'Son Jon' in 'Müschteia'. Das kulturhistorisch bedeutende und äußerst eindrucksvolle Kloster, sein Museum und seine Kirchen haben wir in Vorjahren mehrmals besichtigt(5). Heute begnügen wir uns mit einigen Fotos, bevor wir zum Startpunkt der Wanderung am 'Plaz Grond' gehen. Am Kloster machen Aushänge auf gesperrte Straßen und Wege im Kanton Graubünden aufmerksam. Der Stundenweg ist nicht aufgeführt. Über den sütiroler Abschnitt des Weges ist nichts ausgesagt. Am 'Plaz Grond' vermissen wir die auf den Weg einstimmenden Stundentafeln, aber Wegweiser zeigen nach wie vor die Richtung. Auf dem Weg über die Grenze stellen wir fest, dass auf schweizer Seite sämtliche Stundentafeln fehlen. Der fragliche Grund ihrer Entfernung klärt sich bald auf.



Burgruinen Rotund und Reichenberg bei Taufers
Nach fast einstündiger Wanderung treffen wir oberhalb von Taufers auf den in das Avignatal(6) führenden Wirtschaftsweg, an dem wir auf einen Aushang aufmerksam werden. Ein Zettel besagt, dass der Stundenweg ab Turnauna wegen Steinschlag gesperrt ist. Vorgeschlagene Alternativ-Routen gefallen uns nicht. Keiner der Vorschläge zeigt Optionen für eine Wanderung zur Abtei Marienberg auf. Der Weg Nr. 8 über die Calvenbrücke zur südlichen Talseite wird ausdrücklich nicht empfohlen, weil er über eine verkehrsreiche Straße führt.(7) Auf einer ausgehängten Karte erkennen wir eine nicht beschriebene Variante, mit der wir den heiklen Abschnitt des Stundenwegs auf dem labilen Turnauna-Schuttkegel umgehen und dabei auch noch den steilen Anstieg zur Burgruine Rotund (10. Jh.) vermeiden können. Bei der Lovareihütte würden wir wieder auf den Stundenweg treffen und könnten ihn bis zum Ziel fortzusetzen.



Kirche St. Johann (9. Jh.) bei Taufers im Münstertal
Ab der Sportzone Taufers gehen wir zur Pfarrkirche St. Blasius, an der wir auf den uns bisher unbekannten Plurwaalweg treffen (Nr. 8). Üppige Vegation säumt den schattigen Waalweg, von dem wir auf die Kirche St. Johann bei Taufers blicken. Für weniger als 1000 Einwohner weist Taufers 8 Kirchen auf, von denen die auf das 9. Jahrhundert zurückgehende Kirche St. Johann die älteste ist.
Unser Waalweg verläuft unterhalb des Turnauna-Schuttkegels entlang seines Fußes und mündet in einem zur Calvenbrücke führenden Wirtschaftsweg. Kurz vor Erreichen der Calvenbrücke zweigt ein mit '10b' bezeichneter Wirtschaftsweg nach Nordosten in Richtung Laatsch ab und führt zum mehrere hundert Meter höher verlaufenden Eselsweg, den der Stundenweg nutzt. Dieser Verbindung ist aber ebensowenig ausgewiesen wie Weg-Numerierungen in der Tabacco-Karte.




Disteln am Plurwaalweg
Plurwaalweg bei Taifers
Der Weg steigt vorerst moderat an und ist komfortabel zu gehen. Ein gutes Stück Wegstrecke ist zurückgelegt, bis uns erneut ein Aushang beschäftigt. Per Verordnung ist der Weg ab hier wegen Steinschlaggefahr gesperrt! Allmählich werden wir sauer. Warum konnte über diese Sperrung nicht bereits an der Abzweigung informiert werden? Sollen wir jetzt fröhlich singend zurückgehen oder uns vielleicht einfach in Luft auflösen? Wie bewältigen wir die Calvenbrücke, von deren Nutzung via Weg Nr. 8 ausdrücklich abgeraten wird? Wir ignorieren  Behördenschwachsinn und folgen trotz Verbot weiter dem Weg. Steinschlagrisiko ist dank Schönwetterlage gering, aber einige dicke Felsbrocken auf dem Weg machen das erhöhte Risiko bei ungünstigen Wetterlagen deutlich. Emotionale Anspannung hat sich gerede abgebaut, als der Weg an einem steil abfallenden Bergrücken endet. Hier geht es nicht mehr weiter. Wir kehren um. Auf dem Rückweg erkennen wir eine als 'Weg 10b' markierte Abzweigung, die uns in Gegenrichtung entgangen ist.

Lovareihütte am Stundenweg
Ein schmaler und mitunter kaum noch zu erkennender Pfad windet sich steil und schattenlos in vielen Kehren in die Höhe. Schweißtreibende 200 Höhenmeter sind auf kürzester Distanz zu überwinden, bis endlich der Eselsweg erreicht ist. Gleich neben der Wegverzweigung liegt die kleine, unbewirtschaftete Lovareihütte in 1.426 m Höhe, an der wir nach etwas mehr als dreistündiger Wanderung rasten. Wir blicken auf das Münstertal und den Vinschgau. Fast 500 m unter uns liegt die als 'Calven' bezeichnete Talenge, die das Münstertal vom Vinschgau trennt. 1499 hat hier während des Schwabenkriegs die Calvenschlacht zwischen Eidgenossen und Habsburger Truppen stattgefunden. Die Bündner waren überlegen. Habsburger Machtpolitik kostete den Tod von mehr als 5000 Habsburger Soldaten. Bündner verzeichneten 2000 Tote. Damit nicht genug. Wikipedia berichtet: "Die Bündner plünderten das ganze obere Etschtal bis nach Schlanders und brannten die Dörfer Mals, Glurns und Laatsch nieder. Alle männlichen Bewohner über 12 Jahren wurden niedergemacht. Zur Vergeltung folterten die Tiroler 38 Engadiner Geiseln in Meran zu Tode."(8) Tagelang soll das Wasser der Etsch vom Blut abgeschlachteter Menschen rot gefärbt gewesen sein.

Blick auf den Vinschgau an der Stundentafel 18
Die Fortsetzung des Weges bis zum Ziel ist uns nun wieder vertraut. Heikle Passagen liegen hinter uns. Vorerst ohne größere Höhenunterscheide folgen wir einem aussichtsreichen Steig mit weiten Ausblicken in den Vinschgau. An markanten Punkten sind nun auch wieder Stundentafeln angebracht. Eine anstrengende Passage ist jedoch noch zu bewältigen. Der Weg fällt auf zunächst auf 1260 m Höhe oberhalb von Laatsch ab. Mit Erreichen des Schlinigtals steigt er wieder auf 1480 m an, bis tiefer im Schlinigtal bei der Klostersäge die Brücke über den Metzbach erreicht ist, auf der wir zur Nordseite des Tals gelangen. 1:20 Stunden restlicher Gehzeit sind an der Brücke ausgewiesen, mehr als eine Stunde werden wir auf dem komfortablen Weg nicht benötigen.





St. Stefan, 11. Jh., am Stundenweg
Aus dem Schlinigtal kehren wir in den Vinschgau zurück und freuen uns bereits auf ein weiteres Highlight der Route. Kurz vor dem Ziel erreichen wir die nicht verschlossene kleine Kirche St. Stefan (auch St. Stephan) und inspizieren ein im 11. Jh. auf Fundamenten des 5. Jh. errichtetes Gebäude.(9)











Abtei Marienberg, 12. Jh.
Stundentafel 24 zeigt wenige Minuten später das Erreichen des Ziels an: Abtei Marienberg bei Burgeis, die wir vor einigen Tagen in Verbindung mit einer Führung ausgiebig besichtigen konnten.(10) Am Ziel des Stundenwegs vermissen wir Hinweise auf Wegsperrungen. Uns muss das jetzt nicht mehr interessieren, aber für Wanderer, die aus Richtung Abtei Marienberg den Stundenweg gehen wollen, wären diese Informationen von Bedeutung.
Ab dem Start sind wir 5:20 Stunden gegangen, aber die Wanderung ist noch nicht beendet, weil wir noch unsere mehrere Kilometer entfernte Unterkunft im Falatschhof erreichen müssen. Sonntags ist der Busfahrplan ausgedünnt. Der nächste Bus würde uns nach mindestens 1,5 Stunden Wartezeit nur bis Mals bringen. Wir ziehen einen zeitlich ähnlich langen Fußweg über Burgeis, Schleis, Laatsch und Glurns vor. Zum Glück geht es nur noch bergab. Für größere Anstiege würden die Reserven nicht mehr reichen. Nach 6:45 Std. Wanderzeit (8:15 Std. Gesamtzeit) treffen wir glücklich und zufrieden am Falatschhof ein. Derart intensive Tage erleben wir nicht täglich, aber wenn Wetter und Körper mitspielen, möchten wir uns in den nächsten Wochen mehr solcher Tage ermöglichen.


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