Montag, 19. Dezember 2011

'Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt' - auf dem Fontaneweg F6 um den Schwielowsee


Haussee mit historischem Waschhaus im Linné Park von Schloss Petzow
Bronze-Relief mit Fontane als Wanderer















Soviel vorweg, der Fontaneweg F6 um den Schwielowsee hat uns ausgezeichnet gefallen! Der Name des Sees ist irritierend. Wir befinden uns nämlich an der Havel, die aufgrund der landschaftlichen Formation in einer Kette mehrerer 'Seen' durch Brandenburg fließt. Einer dieser Havelseen ist der Schwielowsee, den weitere Havelseen umgeben.
Die Markierungen sind zwar nicht immer eindeutig, aber insgesamt ausreichend. Entfernungsangaben sollten nicht so ernst genommen werden. Z.B. sind in Caputh kurz nach der Fähre 300 m bis zum Schloss ausgewiesen. Nachdem wir uns dem Schloss etwas nähern, sind es noch 900 m. Eine Gesamtdistanz für die Runde fehlt ebenfalls. Wir haben etwas mehr als 4 Stunden Gehzeit gebraucht und schätzen die Runde auf ca. 20 km. Für einen Themenweg, als einen solchen betrachten wir den Fontaneweg, würden wir uns außerdem mehr Hinweise und Erläuterungen wünschen. Durchgehende Beschreibungen sind weder im Internet noch im Buchhandel zu finden. Das verfügbare Kartenmaterial ist ebenfalls nicht auf diese Themenrouten abgestellt, reicht aber aus. Damit sind die negativen Posten abgehakt. Der Rest ist sehr schön und außergewöhnlich interessant!
Wenn wir nicht davon ausgehen würden, dass die Chance auf Reichtum und Macht i.d.R. jedes Gefühl von Anstatt, Sitte oder Scham konterkarriert, könnten wir auf die Idee kommen, dass dieser Wanderweg bewusst nicht propagiert wird oder Informationen sogar unterdrückt werden. Bei der Vor- und Nachbereitung treffen wir nämlich auf das volle Programm menschlicher Gier, Eitelkeiten, Makel und Peinlichkeiten nicht nur verstorbener, sondern auch lebender Personen. Der Sumpf menschlicher Eitelkeiten, durch den wir hier nicht ungerne waten, steigert die Attraktivität der Strecke nicht unbeträchtlich. Berichten werden wir über diese Aspekte an anderer Stelle im Blog 'raumzeit'. Link zum Post

Resort Schwielowsee
Fontane-Statue im Park des Resorts Schwielowsee
















Wir starten unsere Runde am Resort Schwielowsee zwischen den Orten Petzow und Geltow. Das Resort wird von einer 'Theodor Fontane Besitz- und Betriebs GmbH' verwaltet, was zunächst auf uns sympathisch wirkt und auch die Errichtung der Fontane-Skulptur motiviert haben dürfte. Die Haltung der Fontanefigur wirkt auf uns übertrieben pathetisch, und die Anlage des großen Resorts ist für uns nicht beeindruckend, sondern das misslungene Ergebnis einer falschen Dimensionierung. Die Anlage ordnet sich der Natur in der Umgebung nicht unter, sondern formuliert in der Tradition von Schlössern einen Willen zur Beherrschung, der auf uns lächerlich wirkt. Bis hier geht es um Fragen des Geschmacks. Bei Fragen bzgl. Finanzierung und Profitabilität dieser Anlage endet der Spaß. Das gilt nicht für uns, aber für den Besitzer, der seit Monaten in Untersuchungshaft sitzt und im Januar die Eröffnung seines Prozesses wegen schweren Betrugs erwartet.

Auf dem Weg nach Geltow erkennen wir von der Havelbrücke in nördlicher Richtung die Havelinsel von Werder, die wir vor einigen Tagen besucht haben. Link zum Post der Wanderung von Paretz nach Werder














Wir gehen die Strecke im Uhrzeigersinn entlang des Sees und streifen die Ortschaft Geltow lediglich. Am Rand der Ortschaft steht die aus einem Baumstamm herausgearbeitete Holzskulptur eines Mannes, der ohne Ausdruck von Macht oder Unterwürfigkeit scheinbar beobachtend oder fragend auf den See blickt. Diese Haltung von Respekt und Bescheidenheit gegenüber der Natur betrachten wir als menschlich angemessen. Die Art und Weise der Umsetzung dieses Ausdrucks gefällt uns. Das Haus auf der anderen Straßenseite ist ungewöhnlich und sympathisch gestaltet, frei von jeder Agressiviät. Ob es dem Künstler gehört?




Landschaft zwischen Geltow und Caputh
Der Weg führt nicht unmittelbar am See entlang, weil das Ufergelände sumpfig ist. Das Naturschutzgebiet der Feuchtgebiete zwischen dem Weg und dem See versetzt unsere Assoziationen in Urwälder und weit entfernte Landschaften und Zeiten.













Seilfähre bei Caputh
An einer Engstelle der Havel zwischen dem Schwielowsee und dem Templiner See liegt das alte Dorf Caputh. Die 'Caputher Gemünde', eine Engstelle der Havel, überqueren wir mit einer Seilfähre. Seilfähren werden hier seit 155 Jahren betrieben. Unsere Fähre ist natürlich nicht so alt, aber die Technik ist prinzipiell die gleiche wie zu Fontanes Zeiten.
Fontane berichtet in seinen 'Wanderungen durch die Mark Brandenburg' ausführlich über 'den Schwielow' und die Ortschaften am See. Caputh war damals ein armes Dorf. Für Landwirtschaft ist die Gegend kaum geeignet und Fischerei fiel aus. Die Rechte lagen bei den Potsdamer Kiez-Fischern. ('Kietz' bezeichnet ursprünglich eine Siedlung mit slawischen Bewohnern, die zu Dienstleistungen oder Abgabepflichten für eine benachbarte Burg verpflichtet waren.) Caputh fand seine Nischen in der Ziegel-Industrie, in der Havel-Logistik sowie im Bootsbau für Havelkähne, die vor allem für den Ziegeltransport in die Residenzen Potsdam und Berlin eingesetzt wurden. Heute ist Caputh eine ansehnliche und touristisch geprägte Ortschaft, wobei das Eine mit dem Anderen zusammenhängen dürfte.

Dorfkirche von Caputh
Von Caputh nehmen wir nicht den kürzesten Weg entlang des Sees, weil wir zu den noch etwas abseits liegenden Sehenswürdigkeiten dieser Ortschaft gehen, die am südwestlichen Abschnitt des Templiner Sees liegen. Auf dem Weg zum Schloss treffen wir zunächst auf die Dorfkirche. Den Entwurf  hat Friedrich August Stüler angefertigt, ein Schüler Schinkels. Im Februar 1842 wurde die Kirche in Anwesenheit des Königs, Friedrich Wihelm IV., eingeweiht.










Front von Schloß Caputh
Kurz nach der Kirche gelangen wir zu Schloß Caputh. Philippe de la Chièze erhielt 1662 vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm das Gut Caputh und ließ die im Dreißigjährigen Krieg zerstörte Sommerresidenz der Kurfürstin Katharina im frühbarocken Stil neu errichten.
1667 gingen das Schloss Caputh und das Gut zurück an den Großen Kurfürsten, der das Schloss seiner zweiten Gattin, der Kurfürstin Dorothea von Brandenburg schenkte. Diese erweiterte das Schloß und gibt ihm die Gestalt, die weitgehend der heutigen Sicht entspricht.









Garten in der Sichtachse von Schloss Caputh
Der Schloßpark wird 1830 nach Plänen des preußischen Gartenkünstlers und Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné nach dem Vorbild englischer Landschaftsgärten umgestaltet.














Sommerwohnhaus von Albert Einstein in Caputh
Am Ortsrand liegt an einem Hang das Sommerhaus, das Albert Einstein und seine Frau Elsa bauen ließen. Der Nobelpreisträger für Physik des Jahres 1922 war zu dieser Zeit bereits weltberühmt. Von 1928-1932 wohnten die Einsteins meistens von April bis November in Caputh, wo sie sich sehr wohl fühlten. 1931 schickte Einstein an Eduard, einer von zwei Söhnen aus erster Ehe, einen Brief mit einer Einladung, in der es hieß:
'Komm nach Caputh, pfeif auf die Welt,
Und auf Papa, wenn Dirs gefällt.'

Am 6. Dezember 1932 reiste Einstein mit seiner Frau zu einer Vorlesungsreihe in die USA. Einsteins politischer Instinkt bewahrt ihn vor einer Rückkehr nach Deutschland. Einsteins Eltern stammen nämlich aus alteingesessenen jüdischen Famlien, und inzwischen haben die Nationalsozialisten die Macht ergriffen. Im März 1933 legte Einstein seine deutsche Staatsbürgerschaft ab. Bei einer Bücherverbrennung im Mai 1933 in Berlin brennen auch Einsteins Bücher.

Schwielosee bei Ferch
Die Ortschaft Ferch präsentiert sich uns ausgesprochen hübsch und wesentlich aufgeräumter als die anderen Ortschaften an der Strecke. Während in den meisten Ortschaften der Seezugang überwiegend durch Privatgründstücke versperrt ist, bietet Ferch einen gut ausgebauten Promenadenweg über mehrere Kilometer unmittelbar am See.












Schloss Petzow
Letzte Station auf unserer Runde ist das alte Dorf Petzow, das 1419 erstmals urkundlich erwähnt wird. Slawische Siedlungsspuren sind erheblich älter. Im Dreißigjährigen Krieg wandert die protestantische Familie Kaehne aus Böhmen aus und siedelt sich in Petzow an, wo sie das Lehnschulzengut erwirbt.
Die Kaehnes vermehren über mehrere Generationen ihren Wohlstand, kaufen große Teile des Dorfes auf und erwerben Ziegeleien. Mit Hilfe der Pläne von Peter Joseph Lenné beginnen sie ab 1820 mit der Anlage einer Parklandschaft (siehe Eingangsfoto). Von Karl Friedrich Schinkel lassen sie ein neues Herrenhaus entwerfen, das 1825 fertiggestellt wird und 1827 den Status eines Ritterguts erhält. 1840 erhebt Wilhelm IV. die Kaehnes in den erblichen Adelsstand als Ritter des königlichen Hausordens.





Motiv im Park von Schloss Petzow
Motiv im Park von Schloss Petzow

















Motiv im Park von Schloss Petzow
Fontane ist weit gereist und sicherlich ein Experte für Architektur. Er bezeichnet das Schloß als eine pittoreske Mischung aus italienischem Kastell und englischem Tudorstil, die ihm persönlich nicht gefällt. Fontane empfindet die Anlage als unauthentisch bzw. nicht wirklich glaubwürdig, sondern als eine Art oberflächlicher Show, die Menschen mit Täuschungen beeindrucken will. Fontane ist zu intelligent und zu gebildet, um solchen Täuschungen zu erliegen. Seine ablehnende Haltung, die er selbst nicht überzeugend begründet, wird im Kontext der umstrittenen Persönlichkeiten der Familie Kaehne verständlich und schlägt distanzierend auf Fontanes Beschreibung der außergwöhnlich attraktiven Parkanlage durch. Der oft schwärmende Naturliebhaber beschreibt den Park ohne Andeutung emotionaler Befindlichkeiten rein sachlich.
Der Weg, auf dem die Familie Kaehne über Generationen zu ihrem Reichtum kommt und Hindernisse ausräumt, ist mit Skandalen gepflastert. Im 20. Jahrhundert setzt ein rasanter Niedergang der Familie ein, der erneut mit Skandalen und Katastrophen auf der menschlichen Ebene einhergeht. Diese Aspekte vertieft ein Post im Blog 'raumzeit'. Link zum Post


Es ist nur konsequent, wenn Fontane für die Architektur der von Schinkel entworfenen und seinem Schüler Stüler ausgeführten Kirche, die oberhalb der Ortstschaft Petzow auf dem Grelleberg liegt (Fontane spricht vom 'Grelle'), keine positiven Worte in seiner Beschreibung findet. Die Kirche empfindet er als 'leer und kahl' und 'verstimmend' in ihrer 'Kahlheit', um dann festzustellen,
'... daß man im Hinaustreten auf das Flachdach des Turmes diese Verstimmung plötzlich und wie auf Zauberschlag von sich abgefallen fühlt. Sie geht unter in dem Panorama, das sich hier bietet. (...) Das Ganze ein Landschaftsbild im großen Stil; nicht von relativer Schönheit, sondern absolut.' 
Eine relevante Fortsetzung ist nach diesen großen Worten kaum möglich, sondern nur ein demütiges 'Amen'!

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