Samstag, 2. Juni 2012

Rheinsteigwanderung von Östrich nach Rüdesheim

Motiv am Rheinsteig bei Johannisberg
Am Morgen reisen wir in knapp zwei Stunden von Köln nach Östrich im Rheingau, parken unser Auto vor der gebuchten Unterkunft und starten sogleich zu dieser Rheinsteigetappe. Bis Assmannshausen kommen wir jedoch heute nicht. Trotz der insgesamt guten Wegmarkierung verpassen wir nördlich von Johannisberg mangels Wegmarke eine unscheinbare Abzweigung in einen verwucherten Waldweg und verlieren anschließend einige Zeit mit der Suche des Weges. Nach diesem ärgerlichen Zeitverlust lassen wir die Etappe in Rüdesheim enden, um von dort mit dem Zug nach Östrich zurück zu fahren.
Tatsächlich ist es heute trocken geblieben. Sehr trocken sogar, denn wir haben vergessen, Trinkwasser mitzunehmen. Unsere Sonnenschutzmittel befinden sich dagegen unnötigerweise im Rucksack. Der versprochene Sonnenschein stellt sich nämlich erst bei der Rückkehr nach Östrich ein. So können wir am Nachmittag immerhin den Balkon unseres Zimmers nutzen und das Abendessen im Hof des Restaurants 'Grüner Baum' einnehmen.


Weinberg mit Rheinsteigmarke bei Östrich
45 Minuten nach dem Start erreichen wir den nördlich von Östrich verlaufenden Rheinsteig und wenden uns nach Westen. Die Sicht ist heute sehr eingeschränkt. Auf dem Rheintal und seinen Ortschaften liegt eine dicke Nebelschicht. Gegen die graue Wolkensuppe über uns hat die Sonne keine Chance. Immerhin bleibt es trocken. Die Temperatur bietet mit ca. 20 Grad ideale Bedingungen.
 









Weinprobierstand am Flötenweg
Am Rheinsteig treffen wir auf etliche Weinprobierstände, an denen auch Imbisse angeboten werden. Wir fragen uns, wie sich dieses Angebot einordnen lässt und finden auch die Erklärung: Streckenweise deckt sich die Route des Rheinsteigs mit dem Flötenweg, ein lokaler Wanderweg zwischen Hallgarten und Schloss Johannisberg. Jährlich am ersten Wochenende nach Pfingsten findet das 'Wandererlebnis Flötenweg' statt, bei dem heimische Winzerbetriebe entlang des Flötenweges ihre Weine und Spezialitäten präsentieren. Besucher kommen jetzt noch zu früh. Die Winzer und ihre Helfer sind noch mit der Einrichtung ihrer Stände beschäftigt.






Herrenhaus und Wohnturm von Schloss Vollrads
Unser erstes Zwischenziel ist das renommierte Schloss Vollrads, das den Superlativ 'ältestes Weingut Deutschlands' für sich in Anspruch nimmt. Die Ursprünge der Schlossanlage lassen sich bis in das frühe 13. Jahrhundert nachvollziehen. Die alte Bausubstanz exisitert nicht mehr. Ein im 14. Jahrhundert als Wasserburg errichteter Wohnturm ist das älteste Gebäude des heutigen Schlosses. Georg Phillip Greiffenclau von Vollrads ließ 1684 das weithin sichtbare barocke Herrenhaus bauen. Die Gebäude innerhalb des Burghofs sind später entstanden.
Bis 1997 befand sich das Schloss im Besitz der Grafenfamilie Matuschka-Greiffenclau, deren Name eng mit dem Deutschen Weinbauverband verbunden ist. Als die Hausbank 1997 die Eröffnung des Konkursverfahrens über den hoch verschuldeten Besitz beschloss, nahm sich Erwein Graf Matuschka-Greiffenclau das Leben. Eigentümer des Besitzs ist seitdem die Nassauische Sparkasse, die das Schloss mit Weinbergen und Restaurant bewirtschaftet.


Motiv im Schlosshof von Schloss Vollrads
Im Schlosshof von Schloss Vollrads
Der Schlosshof von Schloss Vollrads ist einer der Veranstaltungsorte des Rheingau Musikfestivals. Neben der ganzjährig geöffneten Vinothek lädt in der Sommersaison ein Weinprobierstand zu Weinverkostungen ein. Wir entscheiden uns für ein Glas 'Goethe Sekt'. Obwohl der Sekt nicht aus Trauben der Schlossweinberge hergestellt wird, schmeckt er uns. Leicht beschwingt brechen wir bald wieder auf, denn der größere Teil der Etappe liegt noch vor uns.




Flötenweg bei Johannisweg
Kurz nach Schloss Vollrads zweigt der Rheinsteig in nördliche Richtung ab, während der Flötenweg weiter nach Westen bis Schloss Johannisberg führt und dort, je nach Gehrichtung, endet oder beginnt.











Rheinsteig zwischen Schloss Vollrads und Marienthal
Auf dem Weg nach Norden lösen zunächst Felder die Weinberge ab, ehe der Weg in einen Wald führt, der sich mit Streuobstwiesen in Lichtungen abwechselt. Die Abzweigung in den Wald haben wir offensichtlich verpasst. Wandermarken sind nicht mehr zu sehen. Da wir unsere Position nicht exakt bestimmen können, hilft unsere Wanderkarte nur beschränkt. Wir gehen auf Verdacht weiter, korrigieren mehrfach unsere Richtung finden jedoch weder den Rheinsteig, noch eine zuverlässige Orientierungsmarke. Da hilft nur noch, den Weg zurück bis zur letzten Rheinsteigmarke zu gehen. Dort angekommen, erkennen wir einen verwucherten Pfad in den Wald, den wir uns anschauen. Tatsächlich entdecken wir etliche Meter hinter der Abzweigung im Wald eine Rheinsteigmarke. Wir sind wieder auf dem Weg, der jetzt kräftig in Richtung Taunushöhen ansteigt.




Franziskanerkloster Marienthal
Vom höchsten Punkt des Weges geht es auf einem steilen Pfad durch den Wald hinab zum Franziskanerkloster Marienthal. Die Ursprünge dieser über Jahrhunderte mehrfach aus- und umgebauten Wallfahrtskirche gehen auf das frühe 14. Jahrhundert zurück. Bei unserer Ankunft sammelt sich gerade eine große Hochzeitsgesellschaft vor der Kirche, so dass die Besichtigung des Kircheninneren für uns ausfällt.
Ähnlich steil wie auf dem Abstieg zum Kloster weist der Weg des Rheinsteigs nun wieder bergauf. 








Inzwischen stellt sich Durst ein. Wir haben keine Getränke mitgenommen und hoffen, uns im ehemaligen 'Kloster Nothgottes' versorgen zu können. Die Anlage ist jedoch menschenleer und verschlossen. Um herauszufinden, warum das so ist, bedarf es längerer Recherchen.
Die Ursprünge von Nothgottes gehen auf den Beginn des 14. Jahrhunderts zurück. Menschen suchten Zuflucht vor der Pestseuche, woraus sich vermutlich eine Wallfahrtskapelle und das Kloster entwickelten. Nach wechselvoller Geschichte, Säkularisierung und erneuter Nutzung durch das Bistum Limburg übernimmt 2006 diesen Komplex eine 1973 gegründete 'Gemeinschaft der Seligpreisungen', die gemäß Selbstdarstellung mit 70 Niederlassungen in 26 Ländern auf 5 Kontinenten vertreten ist. Link: Webeseite der Gemeinschaft
Diese ultrakonservative Bewegung propagiert unter dem Dach der katholischen Kirche das Zusammenleben von Laien und Theologen nach vermeintlich urchristlichen Prinzipien. Dabei scheint Einiges durcheinander geraten zu sein, wie das 'Christliche Forum' in einem Artikel vom 19.11.2011 zu berichten weiss. Link: Artikel im 'Christlichen Forum' vom 19.11.2011:

"Bereits am 7. Juni 2011 haben wir darüber berichtet, daß es bei der 1973 gegründeten katholisch-charismatischen „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ zu schwerwiegenden sexuellen Verfehlungen in der Führungsspitze gekommen ist, darunter zahlreiche Ehebrüche und sogar Mißbrauch von Kindern aus der eigenen Gemeinschaft. Die Gruppierung nannte sich zunächst etwas verstiegen “Der Löwe von Juda und das geopferte Lamm”; sie wuchs in den letzten Jahrzehnten immer mehr  -  und verfügt über 70 Niederlassungen auf allen fünf Kontinenten und in 35 Lnädern. Es gab stets gemeinschaftliches Leben zwischen Priestern, ordensähnlich geweihten Brüdern und Schwestern, Familien sowie Ledigen; diese “gemischte” Struktur wurde vom Vatikan mittlerweile untersagt und “getrennte Lebensstände” angeordnet. (...)
Inzwischen machen weitere Negativ-Meldungen die Medienrunde, wobei nunmehr kein Geringerer als der Gründer der Kommunität,  Gerard Croissant, sexuelle Kontakte zu Mitgliedern seiner ordensähnlichen Gemeinschaft zugab (dazu gehörte auch eine Minderjährige). Daß der als “Bruder Ephraim” bekannte Diakon seit 2007 von seiner Ehefrau Josette (eine Mitgründerin der “Seligpreisungen”) getrennt lebt, ist schon länger bekannt. Er wirkt heute als “Psychotherapeut” in Frankreich. Beileibe nicht besser steht es um seinen Schwager und Nachfolger als Generaloberer, den verheirateten Diakon Philippe Madre: er wurde mittlerweile von einem Berufungsgericht wegen schwerwiegender sexueller Vergehen verurteilt. Noch schlimmer steht es um die Vergangenheit von “Bruder Etienne”, einem ehem. führenden Mitglied, gegen den am 30. November 2011 in der südfranzösischen Stadt Rodez ein Prozeß läuft. Die Anklage lautet, daß er über 50 Jungen und Mädchen der Seligpreisungs-Gemeinschaft mißbraucht habe: im Alter von 5 bis 13 Jahren!
Die „Gemeinschaft der Seligpreisungen“ erklärte in einer Stellungnahme ihren Willen zu “Buße und Umkehr“  – und stellte zugleich fest, die schlimmen Verfehlungen seien lediglich von einer „kleinen Gruppe“ von Mitgliedern begangen worden. Dies trifft zweifellos rein zahlenmäßig zu, doch handelt es sich hierbei immerhin um führende „Mitglieder“ der Kommunität, die außerdem zum Gründungsteam gehören.""

Oha, sündige Höllenschlünde tun sich auf! In Anbetracht der von Missbrauchsskandalen ohnehin tief erschütterten katholischen Kirche sieht sich der Vatikan zum Handeln gezwungen und etabliert neue Regeln des Zusammenlebens von gemischten Gemeinschaften. Die Gemeinschaft in der Niederlassung 'Nothgottes' ist zahlenmäßig zu klein, um diese Regeln umsetzen zu können, weshalb die Niederlassung im April 2012 aufgelöst wird. Dumm gelaufen! Das Bistum Limburg sucht erneut nach einem Nutzungskonzept und hält derweil die Anlage unter Verschluss. Wir müssen weiter dursten!

Abtei St. Hildegard, Eibingen bei Rüdesheim
Nach dem Reinfall am 'Kloster Nothgottes' versuchen wir gar nicht erst, Getränke an der Benediktinerinnen-Abtei St. Hildegard zu erstehen. Auch kulturhistorische Gründe motivieren zu keinem Umweg über das Kloster. Die Anlage ist nämlich keineswegs so alt, wie sie vielleicht aus der Ferne erscheint. Das Kloster wurde im Zeitraum 1900-1904 im neuromanischen Stil erbaut. Unter nationalsozialistischer Herrschaft vertrieb die Gestapo 1941 die Ordensschwestern. 1945 übernahm der Orden wieder das Kloster. Das Klosterweingut, ein Klosterladen, Kunstwerkstätten und ein Gästehaus bilden die wirtschaftlichen Existenzgrundlgen des Klosters.






In Rüdesheim halten wir uns nicht auf, sondern erstehen lediglich zwei Dosen Bier und ziehen gleich weiter zum Bahnhof. Das klassizistische Bahnhofsgebäude ist ordentlich saniert und als Kulturdenkmal ausgewiesen. Wir verleihen zusätzlich einen Preis für eine herausragende 'Service-Wüste'. Im Warteraum ist lediglich ein Fahrkartenautomat aufgestellt, an dem sich vor den Ankunftszeiten der wenigen hier haltenden Regionalzügen regelmäßig Schlangen bilden. Die Bedienung des Fahrkartenautomaten erfordert für Ungeübte mindestens ein deutsches Abitur. Fremdsprachige Gäste haben keine Chance und sind auf Hilfe angewiesen. In der Not organisiert sich die 'Community' leidender Kunden in chaotischer Art, was eine durchaus positive Erfahrung ist. Service-Personal zeigt sich nämlich nicht und Service-Einrichtungen wie Toiletten, Kioske oder wenigstens Gentränkeeinrichtungen sind nicht vorgesehen. Wir helfen einem amerikanischen Paar aus seiner Not am Fahrkartenautomaten und schämen uns für die gebotene Service-Qualität, die in den USA undenkbar wäre.

Marktplatz in Östrich
Bei der Ankunft in Östrich hat sich endlich auch freundliches Wetter eingestellt, das uns zu einem Rundgang durch Östrich motiviert. Das Sahnestück des sonst nicht unbedingt bemerkenswerten Ortsbildes ist der Marktplatz. Glänzen kann Östrich mit einigen renommierten Weingütern, die aber nicht im Zentrum liegen. Unsere Erwartungshaltung ist von den oft malerischen Ortsbilder in der Pfalz geprägt und wird hier eher enttäuscht. Der Ort scheint  generisch zu wachsen und richtet vermutlich sein Wachstum nicht an touristischen Prinzipien aus. Wenn das so wäre, empfinden wir Sympathie für diese Haltung.







Weingut Dornbach in Östrich
In zentraler Lage von Östrich haben wir eine sehr angenehme Unterkunft im Weingut Dornbach gefunden, das eine kleine Pension betreibt. Die Zimmer sind zwar klein, aber hochwertiger eingerichet, als der Preis vermuten lässt und verfügen zudem über einen Balkon, den wir heute sogar nutzen können. Die Weine des Gutes treffen nicht auf unsere Vorlieben, was als eine Anmerkung gemeint ist, die kein Qualitätsurteil beinhaltet.


Gasthaus Grüner Bauom in Trittenheim
Für den Abend haben wir im Gasthaus 'Grüner Baum' reserviert und finden uns dort gut aufgehoben. Der milde Abend erlaubt einen Tisch in dem begrünten Hof. Die kleine Karte bietet schmackhafte Gerichte, die sich an lokalen Vorlieben orientieren, gut zubereitet und moderat kalkuliert sind. Die Weinkarte macht uns mit den lokalen Erzeugern bekannt und bietet etliche Weine auch glasweise zu Preisen an, die in Köln nicht zu finden sind. Die Chefin des Hauses ist für den Service verantwortlich, den sie mit Sachkunde und Charme wahrnimmt. Nach soviel Lob ist klar, dass wir auch morgen wieder hier essen werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen